Man stelle sich phantasievoll vor, das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) konstatierte im Rahmen einer 120-Seiten-Studie, dass die hierzulande alljährlich mindetens 750 Millionen Euro kostenden „Immunmodulatoren“ für MS-Kranke – nichts nützen. Das ist natürlich nicht passiert. Wohl aber hat das US-amerikanische IQWIG-Äquivalent, die AHRQ (U.S. Agency for Healthcare Research and Quality) vorgestern einen Bericht zur „Discontinuation of Disease-Modifying Treatment for Multiple Sclerosis“ vorgelegt und darin (entrüstet vermerkt von ms-uk.org) diesen putzigen Sprengsatz versteckt:
The authors stated that there’s little evidence suggesting long-term harms are any greater than short-term harms for patients taking DMTs. Similarly, they stated that there’s little evidence supporting long-term benefits from DMTs for patients with relapsing-remitting MS (RRMS).
Auf Deutsch: Es gibt kaum Hinweise, dass MS-Patienten von der Anwendung der immunmodulierenden Therapien langfristig profitieren. Also jenen Therapien, die von allen Neurologen schon beim ersten Nervenentzündungsanzeichen dringend und sofort und für immer empfohlen werden – und die wegen der exorbitant hohen Preise aus MS ein weltweites Milliardengeschäft machen. Und jetzt behaupten irgendwelche No-Name-Qualitätschecker: Das sind weltweit 14-16 Milliarden Dollar jährlich für „schad´nix, nützt nix“?
Das ist natürlich empörend. Also: nicht der Sachverhalt, sondern die Tatsache, dass so was vom AHRQ behauptet wird. Die Autoren des Berichts waren aber immerhin so schlau, ihre Namen nicht nennen zu lassen – vermutlich, weil sie Weihnachten erleben möchten. Und nach der spontanen Empörung sämtlicher pharmaunterstützten MS-Patientenvereinigungen ist nun der Entwurf des Berichtes von der AHRQ-Website – verschwunden. Zur Revision. Im endgültigen Bericht (2015) werden dann garantiert andere Dinge stehen, so umformuliert, wie´s die Vizepräsidentin der National MS Society (NMSS) Rosalind Kalb spontan vorgedacht hat:
„It’s not that anyone is saying anything bad, but I think it’s very easy for people to make the wrong assumption that the absence of positive data is the same as negative data, which is what’s happening in this paper. We shouldn’t confuse those two things.“ (Medpage today)
Eben: Das Fehlen positiver Daten (für die seit Jahrzehnten empfohlenen, sündhaft teuren Therapien) ist nicht gleichzusetzen mit negativen Daten.
(Lachen vom Band).
Im Klartext lesen wir: „Legt euch wieder hin und jagt euch weiter täglich Spritzen in die Beine oder schluckt 40.000 Euro teure Mittel gegen Schuppenflechte. Wir formulieren alles so um, dass es nicht mehr skandalös klingt, und über dem endgültigen Bericht stehen dann auch irgendwelche Namen anerkannter MS-Experten.“
Den tatsächlichen Autoren ist aber unbekannterweise für den Aufklärungsversuch zu danken. Auch wenn sie ab jetzt leider Taxifahren müssen – und zukünftig höchstens noch ihren Fahrgästen erzählen können, dass sie mal beinahe einen echten Skandel aufgedeckt hätten. Wünschen wir ihnen unfallfreies Fahren – und noch viele gesunde Weihnachtszeiten.