„Theater ist ein Autorenmedium. Großes Kino ist ein Regisseursmedium. Kleines Kino (Fernseherzählung, sprich: Serie) ist entweder ein „Showrunnermedium“, also Autor=Creator=Regisseurs-Medium (zu besichtigen bei HBO, AMC, Showtime, Channel 4 etc. pp.) oder aber: ein Redakteursmedium. Die Fähigkeiten beider Gruppen sind höchst unterschiedlich, aber beide buhlen um denselben Platz. Der Gewinner setzt seine künstlerische Vision als Programm durch und entscheidet über die Qualität des Angebots. Hätten Redakteure eine künstlerische Vision, wären sie nicht Redakteure. Die engen Grenzen ihrer siegreichen Phantasie und Fähigkeiten sind alltäglich im freien Fernseh- und Radioprogramm zu besichtigen, Kostenpunkt per anno, bei 70% Anteil für die Redakteure selbst: gut 21 Milliarden Euro.“ (Steve Bechtorn, Das letzte Programm, Suhrkamp 2013).
Das ist natürlich übertrieben. Eine/r von zehn RedakteurInnen ist nämlich wirklich gut, weiß, was er/sie tut, versteht, wie und weshalb internationale Fernsehformate funktionieren und redet sich nicht bei faulen Absagen heraus mit „das entspricht nicht den Sehgewohnheiten unserer Zuschauer“. Es ist also alles halb so schlimm. Als gut ausgebildeter Kreativer muss man nun bloß noch den/die eine/n von 10 finden und dann auch noch das Glück haben, dass der/die irgendwas entscheiden darf, aber diese Kombiwahrscheinlichkeit rechne ich nicht aus, sondern gehe lieber optimistisch Lottospielen. (Außerdem verteilt das Fernseh gar nicht 70% von 21 Milliarden im Jahr an derzeitige und ehemalige Redakteure. Es sind nur 70% von 8 Milliarden, die verbleibenden 13 Milliarden ÖR-Steuer (früher GEZ) gehen an pensionierte Verwalter und Hörfunkredakteure.)
Das nicht zwangsabgabepflichtige, vergleichsweise günstig zu erwerbende „Creators“-Programm via Netflix-Watchever-BluRay-DVD-itunes hingegen bietet so viel Schönes, dass berufstätige Freude der gepflegten Erzählung gar nicht mehr hinterherkommen. Hier also sicherheitshalber nur unter 4-200 Augen @ DJ D im Fast Forward: Auch die dritte Staffel von Game of Thrones lohnt sich. *** Die zweite von Suits (fällt im deutschen Fernseh grad durch, wegen hoher Qualität) ist nicht mehr ganz so cool die erste, aber absolut grundsolide gebaut (und mit ein paar brillant erzählten großen kleinen menschlichen Konflikten bestückt) *** Weeds wird mir ewig unklar bleiben, weil´s beides sein will (Comedy & „Breaking Bad“), aber beides nicht ist – immerhin ist der Vorspann wahrhaft sensationell. *** Das Erfolgsformat Shameless lässt sich bei Interesse an sehr viel schmutziger Unterwäsche prima aushalten, das Nachfolgeformat von Shameless-Creator Paul Abbott eher nicht – denn Hit & Miss ist tatsächlich „over the top“: Chloe Sevigny als Auftragskillerin mit plötzlich weichem Herz, klar, das kann man machen, aber Chloe Sevigny als Auftragskillerin mit ständig im Bild pendelnden Schwanz (weil: Chloe ein Kerl ist, eigentlich) – ja: das ist genau einer zu viel. *** Gleiches gilt, wenn auch ganz anders, für Ricky Gervais´ Derek – als geistig behinderter Pfleger in einem Altenheim stösst RG nämlich leider permanent an seine darstellerischen Grenzen. Da hilft auch Carl Pilkington als Hausmeister nicht (trotz der rattenscharfen Frisur). *** Community erreicht mit Staffel 3 nicht mehr ganz die Qualität der Staffel 2, aber das geht ja auch gar nicht, denn jene zweite Staffel geht in die Annalen der Fernsehcomedy ein. S3 ist hingegen bloß sehr gelungen, also sehr lustig. *** Arrow hingegen halte ich leider nicht aus, bei aller Liebe und allem Versuch, obwohl ich eine frühkindlich erworbene Schwäche für Superhelden ohne Superkräfte habe: dieses Format allerdings brüllt derart laut „Mee-tooo-tooo-too!“, dass ich leider mit Kopfweh aussteigen muss. Bruce Wayne braucht keinen bogenschießenden kleinen Castaway-Bruder (und btw., wenn man schon alles klaut: wo ist eigentlich der kleine Bruder von „Wilson“? Ein gelber Assi geht doch immer.) *** Und dann: Treme. Nach Episode 1 dachte ich bloß: Hm. Was passiert denn da? Nach Episode 2 hab ich alles abgesagt und die ganze erste Season binge am Stück geguckt. Und was – passiert nun da? Nix. Oder nix besonderes, nur Leben. Und Sterben. Unter besonderen Umständen. Und im Wissen, was im Leben und darüber hinaus wirklich wichtig ist: nämlich vor allem Musik. Richtige. So: Rhythm und Jazz und Blues aus tiefer Soul. Grandios. Grandioses Erzählen. Von David Simon („The Wire“), begleitet von Eric Overmeyer, im Heimatland inzwischen in der 4ten Staffel. Wird es im deutschen freien Fernseh nie geben. Oder morgens um 2 auf Arte.
P.S.: Für die Lektüreliste – Fernseh- und Gesellschaftslese mit extrem heiter geschwungener Keule: Charlie Brooker – I can make you hate. Denn das ist zum einen, wirklich sehr, sehr komisch, beruhigt aber zum anderen auch die deutsche Fernsehverzweiflerseele mittels Blick über den Tellerrand – auch die Briten produzieren unheimlich viel absurden Schrott. (Aber eben auch Sherlock (BBC), Utopia (Channel 4) … sowie Charlie Brooker´s Black Mirror …