Med men

Gut gemeint, British Medical Journal (= immerhin einflußreichste Publikationsfläche der englischsprechenden Medizinwelt): dein frührer Herausgeber Richard Smith und Peter Gotzsche (Cochrane Center) fordern mit Nachdruck: Fachjournale sollten von der Pharmaindustrie finanzierte (= und damit nachweislich im großen Stil manipulierte) Studien ab sofort überhaupt nicht mehr veröffentlichen. Smith´ Begründung ist ebenso britisch wie logisch: das BMJ veröffentlicht ja auch keine Studien mehr, die von der Tabakindustrie gesponsert werden.

Fiona Godlee, derzeitige BMJ-Chefredakteurin, hat sich jüngst den Kritikern um Smith, Gotzsche und -> Ben Goldacre angeschlossen und droht gar mit der Selbstvernichtung des BMJ, sollte es nicht zur längst fälligen Wende im durch und durch manipulierten Studienzirkus kommen, aber so weit werden die wackeren Briten natürlich nicht gehen, auch wenn sie´s eigentlich müssten.

Und hierzulande? Ist das Ganze weder ein Thema noch eine Diskussion wert. Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, stellt gegenüber Medscape klar: „Die Vorschläge, von der Pharmaindustrie finanzierte Studien nicht mehr zu publizieren, sind unrealistisch – vor allem, da sie teilweise auf Daten basieren, die schon einige Jahre alt sind, und aktuelle Entwicklungen (z.B. EU-Verordnung über klinische Prüfungen) nicht berücksichtigen.“

Niedlich. Da kennt er offenbar weder Goldacre noch Walter/Kobylinski noch sonst irgendwelche relevanten Fakten, aber das muss er ja auf seinem Posten auch nicht. Und der deutsche Patient darf sich wieder hinlegen: „Die Spritzschwester kommt gleich und bringt was Beruhigendes (klinisch getestet)“.

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Jetzt komm, Klima: ist doch besser als nix!

Die Ergebnisse dieser jüngeren Studie klingen doch … na, immerhin! Zweistellig! Satte 14,5% der Befragten und Untersuchten* geben an, ihr Leben Ihrem Verständnis der Gesamtproblematik angemessen zu führen resp. geändert zu haben. Lediglich die verbleibenden 85,5% tun nichts dergleichen – wobei nur ein kleiner Teil (20% der Gesamtheit) meint, es gebe gar kein Problem, also keinen vom Menschen verursachten Klimawandel. Der große Rest sind die „stealth deniers“, also die verdeckten oder heimlichen Leugner, die eines entscheidend gemeinsam haben: Sie „erkennen ihre individuelle moralische Verpflichtung zum Handeln, leben aber einfach so weiter, als gäbe es diese Verpflichtung nicht.“

Das Kleingedruckte ist dann fast egal, denn die Unterteilung der schweigenden Mehrheit in „ist mir persönlich nicht so wichtig“, „war ich nicht“ oder „kann ich sowieso nicht ändern“ darf als akademischer Spielkram unter den Tisch fallen und dort bleiben. Die Wahl endet jedenfalls mit einem Erdrutsch, sprich einer absoluten Mehrheit von 85,5% für eine Fortsetzung des eingeschlagenen Weges.

Wenn die 14,5% das wüssten, sprängen von denen garantiert auch noch mal 4,5% ab – und wer könnte es ihnen verdenken?

* lassen wir getrost unter den Tisch fallen, dass jene 2000 Untersuchten Briten sind – die nationalen Unterschiede dürften marginal sein, also vernachlässigenswert. Die Zusammenfassung der Studie und der Link zum kompetten Bericht finden sich bei Interesse hier.

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Mittelstand als Sitzenbleiber

Drei primäre Gründe nennt Professor Robert Reich, US-Arbeitsminister unter Bill Clinton, für das Ausbleiben der Revolution der Mittelschicht: Angst, Angst und Zynismus. Expliziter: die Angestelltenangst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes (die Konkurrenz ist groß, das Angebot nicht), die Studentenangst, gar nicht erst einen Job zu bekommen (in Südeuropa noch viel ausgeprägter zu beobachten als unter deutschen 21-unbezahlte-Praktika-Akademikern) – und den Zynismus aller, denn wir wissen ja längst: unsere Politiker sind ausnahmslos eben jene 4plus-Gestalten, die wir früher in der Pause auf dem Schulklo eingesperrt haben. Die können und werden ohnehin nichts ändern.

Die Mischung macht´s – tatsächlich. Stabil. Sitzend. Vergessen hat Reich lediglich Punkt 4, jedenfalls für uns Deutsche: Es kommt immer irgendwas Buntes mit Bohlen, Heidi oder Kommissaren aus der Dummbox, und alles gratis. Wer, bitte, wollte da noch seine Nase in die eigenen Angelegenheiten stecken? Solange noch was im Fernseh läuft, ist Apathie die Reaktion der Masse. Sobald die Kisten ausgehen, folgt aber leider die Alternative, und die heißt nicht „lasst uns mal drüber reden“.

Reich bringt auf den Punkt, was hierzulande kaum einer sagen oder hören mag: „Eine Reform ist weniger riskant als eine Revolution, aber je länger wir warten, desto wahrscheinlicher erleben wir Letztere.“ Diese Warnung ist allerdings nicht halb so spannend wie eine Kakerlake live im Bambusrock, also: sprechen wir uns nach dem Startschuß. Oder schießen einander einfach wortlos über den Haufen, weil wir die Alternative „sprechen“ gar nicht mehr kennen. (Aber seht euch vor, wenn ihr euch meine DVD-Sammlung holen wolllt. Meine Armbrust ist wesentlich größer als die von Darryl, und ich verwende auch nicht diese niedlichen kleinen Spitzen).

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Good Cop & very good Cop

Insiderwitz, unter schallendem Glucksen erzählt von smarten Private-Equity-Anlegerdiensten: die amerikanische Food and Drug Administration FDA hat die Zulassung für ein sagenhaft innovatives neues Produkt des israelisch-amerikanischen Pharmakonzerns Teva bekanntgegeben. Teva, Hersteller des einmal täglich zu injizierenden MS-Medikaments Copaxone, darf ab jetzt auch etwas ganz anderes verkaufen, nämlich: 3 x wöchentlich das gleiche, also Copaxone. Beziehungsweise: vorher war nur eine tägliche Injektion von 20 mg erlaubt, jetzt, neu – nach einer garantiert 100 Trilliarden teuren Studie – sind auch 3 x wöchentlich 40 mg erlaubt.

Klingt egal, ist´s aber nicht, denn die neue Dosierung ist patentrechtlich ein … na? Genau: neues Medikament. Das ist gut für Teva, denn Copaxone kostet den User (bzw. seine Krankenkasse) bummelig 12.000 Euro im Jahr, und der Patentschutz läuft im Mai aus. Da die Herstellungskosten längst scharf gegen Null gehen dürften (grob geschätzt, Teva hat meine diesbezügliche schriftliche Anfrage nie beantwortet, ich warte …), wird die tägliche Spritze danach sehr, sehr viel billiger.

Aber nicht die ganz, ganz neue. Also die gleiche wie vorher. Nur etwas dicker. Jene neue, die alle Patienten sich jetzt, zufällig gerade noch rechtzeitig vor dem Mai zugelassen, endlich seltener setzen dürfen. Erleichterung macht sich breit. Bei den Patienten, erst recht aber bei den Patenten, denn das ganz, ganz neue Produkt ist jetzt wieder patentrechtlich geschützt.

Bis 2030.

Die Teva-Aktie hat seit Jahresbeginn mehr als 10 Prozent zugelegt. Adam Riese (resp. A. J., merci) rechnet kurz nach und überschlägt: Bei einer Marktkapitalisierung von 38 Mrd.USD sind das mal eben schlappe 4 Mrd. USD plus für die Shareholder.

Dem Himmel sei Dank, dass FDA-Mitarbeiter unterbezahlte wackere Beamte sind und kein Geld zum Aktienkaufen haben.

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Der Neologismus zum Sonntag, 20 Jahre danach

Der tiefere Sinn des Labenz“ wird heute zum zirka 20sten Jubiläum der deutschen Erstausgabe von den radioeins-„Literaturagenten“ Gesa Ufer und Frank Meyer gewürdigt, und einer der Autoren darf ebenfalls was dazu sagen. Mir wär´s auch lieber gewesen, man hätte statt meiner den tief verehrten Douglas zugeschaltet, aber der Allerbeste funkt nun mal auf anderen Frequenzen. Gut, dass er unsterblich ist, aber doch katastrophal, dass er nichts Neues mehr schickt.

Der tiefere Sinn indes, auch der im Labenz, der bleibt. Auf ewig. Erfreulich. (Und sogar in beiden Varianten, also dt/dt und engl/engl, zwischen den Buchdeckeln).

Adams / Lloyd / Böttcher – Der tiefere Sinn des Labenz: Das Wörterbuch der bisher unbenannten Gegenstände und Gefühle  (Rogner & Bernhard Berlin, 312 S., 14.99 €)

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Kosmischer Stoff

Wer die „Kosmos-A-bis-Atom“-Quintessenz je vertiefen möchte, sei hiermit von meinem alten Freund L. (thx!) mit der Nase auf Brian Greene gestoßen, dessen 2009 erschienenes Buch „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“ ich wegen fehlender Lesebrille immer wieder zurück in den To-Do-Stapel geschoben hatte. Greene war aber unterdessen so nett, seine brillanten Zusammenfassungen aller kosmischen Zusammenhänge in 4 x 60 Dokumentationsminuten zusammenzufassen. Das Ganze ist wirklich elegant und aufwendig gemacht, vermittelt sich vermutlich sogar jüngeren Interessenten als unsereins, und dankenswerterweise spart Greene sich die wirklich harten Nüsse jeweils fürs Ende seiner 4 Kapitel auf. So fällt es einem leichter einzusehen, dass man vermutlich schon längst gestorben und Teil eines schwarzen Loches ist, von dessen Rand die Informationen über das, was man selbst grad für geschehend hält (sich selbst inbegriffen), als Hologramm durch die Raumzeit gestrahlt wird. Wer sich damit herausreden will, wenn er im Kaufhaus stümperhaft klaut, muss sich allerdings von einem nobelpreisverdächtigen Kaufhausdetektiv erwischen lassen.

Brian Greene – Der Stoff, aus dem der Kosmos ist: Raum, Zeit und die Beschaffenheit der Wirklichkeit (Polyband/BVG 2013; 4 x 60 Minuten, DVD ca. 18.99 im Fachhandel)

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Falschabbiegen aus der Lohnschere (für Profis)

Frauen verdienen für gleiche Arbeit im Durchschnitt 22% weniger als Männer. Das geht natürlich nicht. Schaut man etwas genauer in die Statistiken, ergibt sich allerdings beim Vergleich Äpfel versus Äpfel, dass Frauen bei annähernd gleichen „Karrierewegen“ wie Männer nur 2% weniger verdienen als die Konkurrenz mit Bart. Auch das geht natürlich nicht, kann hier aber zunächst unter den Tisch fallen.

Die 22% Differenz in der Gesamtbetrachtung ergeben sich, wen wundert´s, aus den „unterbrochenen Karrieren“ der Frauen. Also jener, die Kinder bekommen und sich eine Weile um die kümmern. Weshalb sie einige Gehaltserhöhungsrunden nicht mitmachen können. Das ist ein klassischer No-Brainer, unsere Antwort darauf ist allerdings noch erheblich hirnloser.

Dr. Lieschen Müller leitet nämlich aus dieser fraglos unfairen Diskrepanz eine nur scheinbar logische Konsequenz ab: Männer und Frauen müssen sich die Erziehung des Nachwuches teilen resp. die Kinder gemeinsam möglichst schnell wieder loswerden und in Krippen unterbringen. So sind sowohl Mutter als auch Vater auf dem Karriereweg in gleicher Weise gebremst, für möglichst wenige Jahre, und können danach im Gleichschritt die Gehaltserhöhungsrunden mitnehmen. Um am Ende, nach 30 Jahre Beruf, gleichbezahlt dazustehen.

Klingt fair, ist aber totaler Quatsch. Denn beide stehen zwar auf diesem Weg am Ende fair gleichauf, aber eben auch beide 22% unter der kinderlosen Konkurrenz. Kinder zu haben, ist nach der emanzipierten Reform also nicht mehr nur für die Mutter gefährlich teuer, sondern auch für den Vater.

Da intelligente Menschen diesen Deppenzauber umgehend durchschauen, wird das Kinderkriegen für sie (auch und gerade durch „Elternzeiten“) nicht interessanter, sondern uninteressanter. Dass gut ausgebildete Frauen unter diesen Umständen ebenso wie ihre Männer auf Kinder verzichten, ungern, aber vernünftig, versteht sich von selbst. Interessant bleibt die Aufzucht und Hege möglichst vieler Kinder unter diesen Umständen nur für jene, die eben nicht gut ausgebildet sind (Fähigkeiten als Eltern seien ihnen selbstredend ausdrücklich nicht abgesprochen).

Das unmißverständliche Signal für die klugen 20% und die mittelmäßigen 40% (ich folge hier Welzers Theorem, und das gern) aber lautet: „Kinderkriegen wird bestraft“, und entsprechend verhalten sich eben weite Teile der Bevölkerung – vernünftig. Sie leisten sich gegebenenfalls ein Einzelkind. Alles andere wäre ökonomischer Blödsinn, siehe oben.

Die Probleme, die sich daraus für die Einzelkinder spätestens in 15 Jahren ergeben werden, sehen wir alle deutlich auf uns zukommen. Wir, die 64er, werden unter den Brücken eng zusammenrücken müssen, die nachfolgenden Generationen landen vermutlich direkt im Fluß.

Die Lösung des Problems darf man Dr. Lieschen indes nicht verraten, denn Lieschen zieht bei solchen Wortmeldungen reflexartig eine verdammt große Keule – und wo Lieschen hinschlägt, wächst kein Gras mehr. Drum, gefühlt kleingedruckt, im großen Chor: Wir Klugen möchten nicht fürs Kinderkriegen bestraft werden. Wir möchten nicht am Ende unter die Brücke, während die kinderlosen Commerzbank-Zettelsortiererinnen auf der AIDA Cocktails trinken. Wir sind nicht selbstlos genug, um unser ganzes Leben zu opfern, damit unsere Kinder euch im Alter ernähren (und eure Cocktails zahlen). Wir können rechnen.

Ganz kleingedruckt? Ihr müsstet nur aufhören, das Kinderkriegen unter Strafe zu stellen. Wertet es auf, indem ihr Rahmenbedingungen schafft, die kluge Mütter und Väter trotz der Karriereunterbrechung am Ende 2% besser stellt als die kinderlosen Karrierekonkurrenten.

Und das nennt ihr „Herdprämie“?

Ja. Nee. Ernsthaft: Keine Fragen mehr.

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