Selber denken lernen …

„heisst in Wirklichkeit zu lernen, wie man über das Wie und Was des eigenen Denkens eine gewisse Kontrolle ausübt. Es heißt, selbstbewusst und aufmerksam genug zu sein, um sich zu entscheiden, worauf man achtet, und sich zu entscheiden, wie man aus Erfahrungen Sinn konstruiert. Denn wenn Sie als Erwachsene diese Entscheidung nicht treffen wollen oder können, sind Sie angeschmiert.*“ Und: „In den alltäglichen Grabenkämpfen des Erwachsenseins gibt es keinen Atheismus. Es gibt keinen Nichtglauben. Jeder betet etwas an. Aber wir können wählen, was wir anbeten. Und es gibt einen äußerst einleuchtenden Grund, sich dabei für Gott oder ein höheres Wesen zu entscheiden, (…) denn so ziemlich alles andere, was Sie anbeten, frisst Sie bei lebendigem Leib auf.“ Und … mehr Hinreißendes, Gutes, Energisches, Wahres, eine gute halbe Stunde lang …

Meine Buchhändlerin war so nett, mir David Foster Wallaces einzige Rede „Das hier ist Wasser / This Is Water“** zu schenken, in schmaler Buchform. Hätte sie das ein paar Jahre eher gemacht, hätte ich mir einige Teile der Quintessenzen nicht selber ausdenken müssen, sondern ganz bequem abschreiben können. Aber so hab ich doch erst recht Grund zur Freude, zum zustimmenden Dauernicken und zur dringenden Empfehlung: Hört! Hört! Dem leider nicht mehr anwesenden Mann zu. Oder lest ihn nach. Es dauert nicht lang, ist aber äußerst hilfreich, jedenfalls für Menschen, die noch jung genug sind zum Denkenlernen.

** (Nix für ungut, Translator, aber hier spricht Wallace passend: „you will be totally hosed“, und für so ne volle Ganzkörperladung aus dem Feuerwehrschlauch ist „angeschmiert“ doch wirklich eine Spur zu putzig.)

* (Die Darreichungsformen sind vielfältig, vom Audiobook bis zum zweisprachigen Normalbuch bis zum e-book für lumpige 99 Cent. Näheres weiß im Zweifel der gute Buchhändler nebenan oder der im Netz.)

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Letzte Chance auf Elternschaft (für Frühaufsteher)

Am 1. Dezember zeigt VOX ab 5.55 h die letzten beiden Folgen der ersten Staffel des „US-Serienhits“ (quotenmeter.de) Parenthood (den ich an dieser Stelle gelegentlich zur Ansicht empfahl). Das mit dem „Hit“ stimmt so zwar nicht ganz, denn Parenthood ist wirklich so anders und so gut, dass die Serie auch in den USA um eine Fortsetzung bangen muss (allerdings erst jetzt, nach Staffel 3). Hierzulande wird aber nach zuletzt 2,5% Marktanteil schon kurz vor dem Finale der wunderbaren Staffel 1 die Ersatzvollbremse gezogen, und das durchaus aussichtsreich. Zukünftig sendet Vox am Samstag nämlich statt Dramedy-Patchwork für kluge Erwachsene ab 12.30 h das intelligente Format „Shopping Queen“. Zwar nur in Form von Wiederholungen, dafür aber gleich im Fünferpack, und wir alle können gefahrlos unsere ganze H&M-Garderobe drauf verwetten,  dass das mindestens doppelt so viele Zuschauer anziehen wird (sic) wie Familie Braverman.

Es wäre dennoch falsch davon auszugehen, dass 97,5% der deutschen Fernsehzuschauer keinen Geschmack haben und/oder was am Kopf. Es bleibt nur dabei, dass die intelligenten unter den Film- und Serienkunstinteressierten sich ihr Programm selbst machen und DVDs kaufen. Weil sie´s können. Und vielleicht sogar müssen, weil ihre Tage nicht immer nur von 9 bis 5 reichen und/oder sie abends manchmal was Besseres zu tun haben. Sowie, erst recht, am Samstag um 12.30 Uhr. (Gibt es überhaupt, in ganz Deutschland, ein intelligentes Elternpaar, das Samstag um 12.30 Zeit zum Fernsehen hat?)

Auf dem To-Do-Fragezeichen-Zettel für die Programmcheffes im Lande bleibt immerhin stehen: „Klären: Was wollen wir eigentlich mit 5 Millionen Zuschauern, die ganz viel Werbung kucken, sich aber überhaupt nichts kaufen können? (Außer wir laden sie alle gleichzeitig als „Shopping Queen“ ein?)“

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Praxisgebühr

Hey! Hallo? Moment mal, Nachrichtenprogramm der 93%-Mehrheit. Meine 10-Euro-Praxisgebühr ist nicht gestrichen worden, sondern beträgt immer noch 625 Euro pro Quartal (steuerlich nicht absetzbar). Könnt ihr das mal melden, bitte? Wie, so ne Meldung bringt keine Einschaltquote, weil das höchstens die popligen 7% zwangsläufig Selbständigen in der vollverbeamtetversicherten Frührentengesamtgemeinschaft betrifft? Verstehe. Ja, dann. (Vielleicht … wenigstens ne Erwähnung, dass im Krankheitsfall auch für Frau und Tochter noch mal 750 Euro pro Quartal dazukommen? Auch nicht?)

Einfach nicht krank werden? Da sprichst du aber anderer Leute Überlebensweisheiten ganz gelassen aus, Volksmund!

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Everybody dies. Or do they? (Holmes & House – unverspoilert)

Gut, ja, natürlich hätte man das ahnen können. Ahnen müssen. Oder sogar wissen müssen, weil´s doch von Minute 1 der ersten Staffel an – eingezahlt war. Oder? Ein drogenabhängiger Puzzlekönig und Misantroph und sein braver bester Freund – House & Wilson klingt ja nicht umsonst wie Holmes & Watson. Umso verblüffender, dass es House-Schöpfer David Shore gelingt, sein verwöhntes Publikum, dass ja ohnehin immer das Unerwartete erwartet, bis zum letzten Bild seiner Erzählung bei der Stange zu halten – und, ja, bis zuletzt zu überraschen. Mit der achten Staffel ist die Meistererzählung „House M. D.“ nun beendet, und man kann den Hut gar nicht tief genug ziehen vor Shores Leistung. Dr. Gregory House ist, sterblich oder nicht, ewig. („House and philosophy“ (William Irwin & Henry Jacoby, 2008) braucht jetzt allerdings ein Update.)

Kein Update braucht House-Inspirator Holmes, schließlich ist der in den letzten Jahren gleich mehrfach aktualisiert worden, sowohl von Guy Ritchie (R), Robert Downey und Jude Law im Rahmen der beiden durchgeknallten Sherlock-Holmes-GGI-Orgien, als auch von den Conan-Doyle-Geeks Stephen Moffat & Mark Gatiss – deren kongeniale BBC-Serie Sherlock zwar weltweit völlig zu Recht bejubelt wurde (und offenbar fortgesetzt wird), hierzulande aber – selbstredend – bei der Prime-Time-Erstaustrahlung (2,76 Millionen Zuschauer) nicht konkurrieren konnte mit innovativen Programmschwergewichten wie Jörg Pilawa (5,53) und Tatort-Wiederholungen im Dritten (3,27). Die „Serienjunkies.de“ konstatieren dazu: Der ohnehin seltene Mut, Sendungen wie „Sherlock“ auf guten Sendeplätzen zu programmieren, wird bei den Programmverantwortlichen damit weiter sinken. Und jeder Ruf nach einer qualitativen Steigerung deutscher Serien-Eigenproduktionen hat sich damit eigentlich ebenfalls erledigt (siehe auch die 1,85 Millionen Zuschauer für den „Tatortreiniger“ im Anschluss an „Sherlock“.)

Es gibt aber in den Weihnachtsferien noch mal eine Chance für Gratiskucker, nämlich vom 1.-3. Januar im Programm von swr und br. Und „A scandal in belgravia“ (R. Paul McGuigan), stärkste unter all den starken Sherlock-Episoden ist wirklich ein „Must See.“ Wobei … man kann doch Benedict Cumberbatch (als Holmes) überhaupt nicht synchronisieren … also wünscht man sich doch vielleicht besser zu Weihnachten die ganzen 6 Folgen und bleibt bei diesem britischsten aller Ermittler beim britischen O-Ton.

P.S.: „Der Tatortreiniger“ wird fortgesetzt. Nach überwältigendem Mehrheitsbeschluß in den Reihen der ARD mit einer angemessen langen 22er-Staffel. Äh, 3er.

P.P.S.: Apropos „Everybody dies“ – moviemiscellany.com hat eine wirklich wunderbar herrzerreißende Liste der 100 deprimierendsten Filmtode erstellt, leider ist der dazugehörige 5-Minuten-Clip in Deutschland gesperrt. Aber die Liste gibt´s hier und obendrein, als kleinen Trost (und ungesperrt) den erheblich fröhlicheren Cut 100 Movies where they say the title of the movie.

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„Was möchten Sie denn in Ihrem Leben noch erreichen?“ – „Preußen!“

Mein alter Freund L. kann besser lesen als ich. Nämlich beginnend mit der letzten Seite, was im Fall von Eva Hermanns „Das Medienkartell“ tatsächlich hilft. In ihrem neuen Buch, erschienen im Kopp-Verlag, der letzten Ausfahrt vor bod, fragt die die Ex-Nachrichtenansagerin nämlich abschließend Ex-KSK-Kommandeur Reinhard Günzel: „Was müsste geschehen, damit Deutschland genesen kann? Dessen Antwort lautet, wohl befeuert vom historisch dicht beisammenstehenden „Deutschland“ und „genesen“: „Sofortige Abkehr von der nihilistischen Ideologie unserer sozialistischen Weltverbesserer und Rückkehr zu den klassischen Werten des christlichen Abendlandes, verbunden mit einer Wiederbelebung jener Tugenden, die zwar die Preußen nicht erfunden, aber letztmalig in beeindruckender Weise verwirklicht haben.“ Ausnahmsweise lässt die Autorin hier die Ausrufezeichen weg, aber die Diagnose drängt sich trotzdem auf: Hermann ist offenkundig verletzt, und nicht nur am Stolz, sondern auch dort, wo die Helmpflicht gilt.

Und das ist überaus bedauerlich. Nicht nur für die Versehrte und deren Kasse, sondern erst recht für die Sache. Denn in jener hat Hermann ja durchaus häufiger mal recht oder wenigstens gute Argumente für wichtige Diskussionen auf ihrer Seite. Was allerdings durch die ganze Preußenverherrlichung (sowie siehe unten) komplett verdeckt wird. Dummerweise hört man Hysterikern nämlich ungern zu, schon weil sie immer laut schreien, womit sie gerade einer wichtigen Sache verheerend schaden können. Weshalb Hermann jeder Annäherung an unbequeme Wahrheiten einen Bärendienst erwiesen hat, denn viele der Pre$$titutes, Teestubendumpfbacken und Gummizellenemanzen, die sie berechtigt kritisieren möchte, können sie nun ohne Mühe als anstaltsreif in Schutt und Asche schreiben. Oder könnten. Können sie aber auch lassen, weil die radikalisierte Blondine sich förmlich selbst erledigt hat.

Doof. Denn was Hermann eigentlich oder wenigstens auch konstatieren möchte, in nuce und ganz sachlich, ist: Wir sind lausig informiert, es gibt hierzulande keinen unabhängigen Journalismus mehr, alle „politischen“ Magazine hängen am Werbetropf der Industrie, Der Spiegel ist eine Hochglanzvariante von Elbe Wochenblatt oder Bäckerblume, Relevantes findet in den Medien nicht mehr statt, generell gilt „die Betroffenen bitte nicht mit Fakten stören“, die veröffentlichte Meinung hat wenig mit der öffentlichen Meinung zu tun, denn unsere Repräsentanten sind unfähige Soziopathen, auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar, und konnten sich vor Hartz IV nur durch rechtzeitige Einweisung in einen Landtag oder die Redaktion eines Frauenmagazins retten. Diese Leute sind gefährlich. Die Situation ist´s erst recht. Für uns alle.

Das wäre die Arbeitshypothese. Und verdiente unbedingt eine genauere Betrachtung. Am besten allwöchentlich zur besten Sendzeit im ZDF. Moderiert von Ken Jebsen und Günther Jauch (als Jebsens Assistentin). Hermann dürfte allerdings nicht teilnehmen, weil sie alle paar Sekunden den Faden verliert, WordPress für ein „Nachrichtenportal“ hält und dauernd maßgebliche Kleinigkeiten vergisst (oder diese nicht mal ahnt): fairerweise sollte sie doch wenigstens erwähnen, dass es im „gleichgeschalteten“ Mediensumpf Ausnahmen gibt, sogar im Fernseh, von „Monitor“ bis „Panorama“ … Andererseits könnte Hermann Besserwissern wir mir an dieser Stelle mit Chomsky messerscharf entgegenhalten, die Illusion von Dissens und kritischer Berichterstatttung (im engen Rahmen) sei ja notwendiger Teil der gleichgeschalteten Manipulation und Verarasche, denn nur so verharrten die Klügeren unter den Konsumenten im festen Irrglauben, in einer Demokratie zu leben. Auch wieder richtig. Könnte sie argumentieren. Sofern sie´s wüsste. Weiß sie aber nicht. Sie weiß primär: „Preußen!“

Den schwersten Webfehler aber begeht Hermann (in bester Kopp-Autoren-Gesellschaft), indem sie die Macht des einzelnen Lesers, Hörers, Schauers, Konsumenten sprich: freien Bürgers vergisst bzw. unterschlägt und das „Medienkartell“ mit der organisierten Desinformationsindustrie in DDR, Nordkorea oder anderen totalitären Systemen vergleicht. Dabei lässt Hermann dann einfach die fällige Schelte und Backpfeife für den/die bescheuerte(n) LeserIn oder ZuhörerIn weg, der/die ja sehr wohl – und problemlos – die „Medien“ zwingen könnte, ganz anders zu arbeiten, nämlich indem er/sie, die Konsumenten, einfach Qualität nachfragen – und für diese Leistung bezahlen. Und gleichzeitig z. B. Stern, Spiegel, Focus oder auch gleich noch Wetten, dass? ihr Vertrauen entziehen, qua Boykott resp. Nachfrageverweigerung. Tun sie aber nicht, die Blöden, Bequemen. Und auch die klugen Bequemen nicht, die ebenso wenig wie die ganz Blöden bereit sind, echten Journalismus zu suchen und zu bezahlen.

Kurz: Wer Medienkritik ernsthaft betreiben will, kommt neben faktischer Klarheit in der Argumentation erst recht nicht darum herum, dem Publikum gepfeffert die Leviten zu lesen. Das aber wird nicht mit Honoraren belohnt und  erst recht nicht mit Applaus. Da aber dies offenbar alles ist, woran es Hermann liegt (neben der Herstellung ihres guten Rufs als Preußin) sind wir unterm Strich alle gut beraten, nicht meinem Beispiel zu folgen und Hermanns ganzes Best-of-Kopp-Potpurri zu lesen, sondern nur, wie von Herrn L. vorgelebt, die letzte Seite quer. (Dafür aber bitte zur Strafe mindestens 6 Bücher von Palast und Pilger sowie Scheer, Radermacher und Felber).

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Die ganze Wahrheit über alles (in Arbeit)

Ich mag Optimisten. Erst recht engagierte. Wie meinen Freund und Mitstreiter A., der mich unlängst ermahnte, ich solle jetzt mal wieder aufhören mit dem Fernsehunterhaltungskram und zur Sache kommen bzw. zurück an Bord – für das gemeinsam längst verabschiedete und verblüffend unkühne Projekt „Die ganze Wahrheit über alles“. (Es dauert ja gar nicht lang, die Wahrheit hinzuschreiben. Es dauert nur so lang, das ganze Mythen- und Lügenunkraut wegzuholzen …)

Problematisch erscheint mir allerdings, dass unsere klugen Mitmenschen mit Moral eh so gut wie alles wissen, was in dem Buch stehen wird. Sie werden dazu nicken und es sich gegebenenfalls gegenseitig vorlesen. So hätten wir bundesweit wohl 5.000 erfreute Leser und am Ende pro Autorenkopf 2.500 Euro auf dem Konto, für ein halbes Jahr Arbeit. Ließe sich dieser Ruin von zwei Optmisten notfalls noch verkraften, gar ohne jeden Verlust für Menschheit oder Erdrotation mit dem Tode bezahlen, bliebe aber leider der Pferdefuß stehen, dass ja nichts gewonnen wäre. Denn die klugen Weisen nicken ja auch schon ohne dieses weitere Buch. Und so bleibt als noch offene Frage stehen, ob Don Quixote für uns zwei als Role Model taugt. Zumal wir ja an unsere insgesamt 6 sehr geliebten Kinder denken müssen …

Zwischenzeitlich mögen mitlesenden Optimisten daher die nachfolgend empfohlenen Bücher als Wegzehrung dienen (sofern sie die nicht eh schon auf dem Speiseplan hatten) – geschrieben von Menschen, vor denen ich meinen Hut ziehe, wegen ihrer Klugheit und wegen ihres Einsatzes für die Wahrheit und eine zukünftig bessere Welt:

Bad Pharma von Ben Goldacre: Nachdem Goldacre sich für sein letztes Buch „Bad Science“ von Globuli-Fans als Agent der Pharmaindustrie beschimpfen lassen musste, zerlegt er eben jene nun in seinem neuen Buch in ihre Bestandteile – und das mit den gleichen sachlichen Methoden wie vorher die „Alternativen“. Bad Pharma ist brillant recherchiert und brillant geschrieben, erweitert den Horizont und macht wirklich schlechte Laune.  Lesen muss es trotzdem jeder, der sich vorstellen kann, im Lauf der nächsten 20 Jahre an einen Arzt zu geraten (der leider selbst gar nicht weiß, was er tut). Die deutsche Ausgabe erscheint gelegentlich bei Kiepenheuer & Witsch, wer des Englischen mächtig ist, kann aber schon vorher klüger werden.

Food Rules von Michael Pollan: Eine nützliche Quintessenzensammlung aus Pollans überaus lehrreichen, aber auch sehr dicken „Omnivoren-Dilemma“ – wer nicht ausreichend Zeit für Letzteres hatte, gewinnt mit dem Westentaschenbuch doppelt.

Welt mit Zukunft von Franz Josef Radermacher und Bert Beyers: ein disziplinübergreifend fachkundiger und trotzdem optimistischer Blick auf unsere derzeitige Welt und unsere Zukunft. Gelegentlich naiv, aber das im guten Sinn, denn legte man überall strengste Maßstäbe an, könnt´ man sich ja nur noch eine Schußwaffe zulegen, einen Keller voll Vorräte und ein Gebetbuch nach Wahl.

Ebenfalls konstruktiv (und als gutes erstes Angebot zu verstehen): Gemeinwohlökomie von Christian Felber. Wie Radermacher und Beyers konstatiert Felber, dass in Umfragen 88% von uns mit der derzeitigen Wirtschaftsordnung unglücklich sind, wie R&B macht er Vorschläge – und damit wenigstens einen Anfang, im Gegensatz zu „Occupy“.

Detail- und diagnoseergänzend empfehlen sich Nicolas Shaxsons Treasure Islands, wo man unter anderem staunend erfährt, weshalb 1/3 des weltweiten BIP unversteuert bleiben (und deshalb alle 7 Sekunden ein Kind sterben muss), Fred Pearce’ Landgrabbing (das allerdings nicht sonderlich konzentriert daherkommt), Bill McKibbens Eaarth (für Einsteiger), Heiner Flassbecks prägnante 10 Mythen der Krise, Ha-Joon Changs 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen sowie Schluß mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt, Herausgegeben von taz-Chefredakteurin Ines Pohl (trotz der vielen seiten selbsredend etwas einseitig, aber trotzdem hilfreich, bei Westend).

Ergänzend rate ich nochmals zu Greg Palasts als Teaser für die nächste Woche anstehende Weltpräsidentenwahl zu lesendes Billionaires and Ballot Bandits sowie das nun endlich auch auf Deutsch vorliegende „Frühstück für Aasgeier“. Auch wenn ich weiterhin nicht Palasts Ansicht bin, dass Barack O. schon diese Wahl verlieren soll oder wird. Denn um alles auch nur annähernd Progressive auf US-Boden bis 2080 zu diskreditieren, muss man doch den schwarzen Krankenkasseneinrichter, Schwulenfreund und Vergewaltigungsgegner wenigstens noch bis zum weltweiten Bubble-GAU im Sattel sitzen lassen. Und niemandem wäre gedient, wenn in diesem Knallmoment ein New-Order-Republikaner oben säße und die ganze Schuld zu tragen hätte. Jeb Bush darf dann nach dem Knall aufs Pferd. Romney vorher per Wahlmanipulation draufzuschummeln, wäre doch taktisch verdammt unschlau. Und, hey, man kann die Powers To Be ja für alles mögliche halten, aber für unschlau?

Ben Goldacre: Bad Pharma – How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients (HarperCollins 9/2012, 448 S., 14,95 €)
Franz Josef Radermacher / Bert Beyers: Welt mit Zukunft – Die ökosoziale Perspektive (Murmann 2/2011, 400 S., 19.90 €)
Michael Pollan: Food Rules (dt: 64 Grundregeln Essen, Goldmann 4/2011, 160 S. 7.99 €)
Michael Pollan: Das Omnivoren-Dilemma – Wie sich die Industrie der Lebensmittel bemächtigte und warum Essen so kompliziert wurde, Goldmann 2011, 608 S., 14.99 €)
Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie – Eine demokratische Alternative wächst (Deuticke 2/2012, 208 S., 17.90 €)
Bill McKibben: Eaarth – Making a Life on a Tough New Planet (St. Martins Press 3/2011, 268 S., 17.98 €)
Fred Pearce: Landgrabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden (Kunstmann 9/2012, 400 S., 22.95 €)
Ha-Joon Chang: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (Goldmann 4/2012, 380 S., 9.99 €)
Heiner Flassbeck, 10 Mythen der Krise (edition suhrkamp digital 1/2012, 64 S., 4.99 €)
Ines Pohl (Hg.): Schluss mit Lobbyismus! – 50 Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt (Westend 9/2012, 224 S., 14,99 €)
Greg Palast: Frühstück für Aasgeier – Wie Ölbosse und Finanzhaie die Weltherrschaft erlangten (Riemann 10/2012, 544 S., 21.99 €)
Greg Palast: Billionaires & Ballot Bandits – How to Steal an Election in 9 Easy Steps (Seven Stories Press 9/2012, 304 S., 11,20 €)
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Netzangriff: Vorteil p-book

… und zwar weil die Gedruckten etwas können, was ihre elektronischen Brüder und Schwestern eben nicht können, nämlich: mich vorwurfsvoll ankucken. Und wer besonders vorwurfsvoll kuckt, sei es auch von ganz unten aus dem Stapel der Ungelesenen, der ruft sich immer wieder in Erinnerung und wird irgendwann, mit Glück, doch noch gelesen.

Wie gestern Zwischenprüfung. Von Christian Peitz (timpete, 108 Seiten, 7,90 €, August 2012) Eine kleine, völlig unbekannte und völlig charmante Novelle, die man (bzw. Herr K.) mir irgendwann ans Herz legte, die ich bestellte, erhielt und auf den Stapel legte, wo sie dann auch blieb und rasch tiefer rutschte. Bei jedem Bewegen, Durchsehen oder Ergänzen des Stapels konnte sie aber immer wieder hochkucken. Vorwurfsvoll. Und nun hab ich sie gelesen (und kann sie als leichten, aber gehaltvollen parabelmärchenhaften Snack zur Zwischendurchprüfung nur jedem ans Herz legen).

Wer hingegen im Kindle „zu liegen kommt“, hat dieses Glück nicht. Oder nur sehr selten. Zum Beispiel S. Alini, dessen reines e-book The Strange Journal of the Boy Henry (2,39 €, bei amazon) ich vor Monaten kaufte resp. lud und nach Lektüre der ersten Seiten auch unbedingt ganz lesen wollte, dann aber glatt und restlos  vergaß. Weil ja immer so viel nachkommt auf die Stapel, den e- wie den echten. So verdankt nun Alini meine erneuerte Aufmerksamkeit allein meinem Nachdenken über all dies – wegen Peitz. Ohne den und sein p-book wäre Alini als Hinterbänkler auf meinem Kindle ewig chancenlos geblieben …

Da fällt mir ein … hatte ich nicht neulich irgendwelche Platten gekauft, bei itunes? Und dann auch gleich wieder vergessen, weil sie sofort und so schick in irgendeinem Archiv gelandet waren? Wie finde ich die denn jetzt wieder, da ich ja nicht mal mehr weiß, wie sie hießen? Unter „Einkäufe“? Ja, aber … „Einkäufe“ sortiert nach Erscheinungsdatum, nicht nach Eingang oder Farben …

Bestimmt wird die Töchtergeneration das alles nicht nachvollziehen können. Diesen ganzen physischen und haptischen Quatsch. Und recht haben sie ja auch, irgendwie: in Minecraft kann man genauso Getreide anbauen, mahlen und daraus Brot backen wie ich auf dem Feld und danach in meiner Küche. Und: die Kinder sind dabei wesentlich schneller als ich.

Lassen wir den Rest unter den Tisch fallen. Es wird ja hoffentlich nichts Wichtiges dabei sein.

(Aber den schönen Werbespot für die allerneueste Tablet-Reader-Konkurrenz schauen wir uns trotzdem mal alle zusammen an, und zwar hier.)

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