Emmas Glück und Johns Jesus

Eine ebenso insolvente wie ruppige junge Bäuerin, die ihre Schweine auf denkbar sanfte Art aus dem Leben befördert, ein todgeweihter Autoverkäufer und auf den letzten Lebensmetern verzweifelter Dieb, dazu ein paar gnadenlos skurrile Landhessen inklusive eines Polizisten, der grundsätzlich seine Mutter zu allen Einsätzen mitnimmt – fertig ist der Genremix, mit dem man garantiert keinen Platz im Hauptabendprogramm bekommt. Emmas Glück läuft aber bestimmt immer mal wieder gelegentlich ab 23.45 Uhr, und wer um die Zeit schon schlafen muss, kauft sich einfach die DVD und sieht vor: nämlich den vermutlich anrührendsten, traurigsten und zugleich komischsten deutschen Film der letzten paar Jahre.

Genauso vorhersehbar wie im Fall siehe oben ist auch das Ende von John Nivens wildem Roman Gott bewahre. Darüber beschwert sich drum der eine oder andere Leser, der offenbar das eine oder andere Fass Korn zu viel getrunken hat, denn: wie sollte The Second Coming (so der Originaltitel) enden, wenn nicht mit dem neuerlichen Exitus des Gottessohnes. Mit einer Festanstellung, Mittelreihenhaus und Rentenanspruch für Jesus, the Man?

Dass Niven den Bogen gelegentlich wüst überspannt – geschenkt. Dass man ihn der Blasphemie bezichtigen wird – erst recht geschenkt, denn er betreibt keine Gotteslästerung, sondern Kirchenlästerung, und das ist schon mal per se aller Ehren wert. Der Rest ist gut ausgedachter Irrsinn, ausgehend von der schönen Prämisse, dass Gott selbst nach der Rückkehr von einem 7tägigen Angelausflug (der etwa 500 Menschenjahren entspricht) maßgeblich gepisst und wüst fluchend zur Kenntnis nimmt, was die Erdenkinder in der Zwischenzeit aus seinem schönen Planeten gemacht haben – sowie aus seinen schönen Ideen sowie seinem einzigen Gebot „Seid lieb“ (die anderen Gebote waren ja allesamt freie Erfindungen des Hornochsen Moses). Jesus, seit geraumer Zeit auf einer Wolke, dauernd bekifft und jammend mit Jimi Hendrix, muss daher zurück auf die Erde und die frohe Botschaft erneut unter die Leute bringen, und zwar auf dem einfachsten Weg, nämlich qua Teilnahme am „American Idol“, also der Vorlage unseres „Deutschland sucht den Superstar.“ Was daraus weshalb wird, ist ein sauber und komisch erzähltes Road-Movie auf Papier, inklusive Spätfolgen des Ruhms, Waco-Parodie und Rückkehr auf die Wolke. Möge also Nivens in Schimpfwörter und gelegentlich überzogene Fäkalsprache gegossener gesellschaftskritischer Spaßangriff möglichst die Herzen und Hirne all jener erreichen, die bis heute nä, dude, gar nich so richtig wissen, was das eintlich soll, diese Christusgrütze und Halleluhjah und so.

John Niven gibt jedenfalls alles, um das zu ändern, auch wenn er sich dabei ein bisschen schmutzig macht.

Emmas Glück (D 2006, R: Sven Taddicken, B: Ruth Thoma und Claudia Schreiber nach dem Roman letzterer, in den Hauptrollen Jordis Triebel und Jochen Vogel), für´n Appel und ´n Ei in jedem gut sortierten Filmemarkt.
John Niven / Gott bewahre (dt. von Stephan Glietsch), Heyne Hardcore 2011, 400 S., 19.99 €

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Neulich im Bundestag

... heisst das subversive Format, das eine Funny-Dubbing-Splittergruppe* aus dem Untergrund produziert und vorbei an allen öffentlich-rechtlichen „Überwachungsinstanzen“ (FAZ) regelmäßig ins ARD-Programm schmuggelt. Alle Versuche, die Verbreitung dieser reinen Wahrheit noch zu stoppen, kämen sowieso zu spät, denn im Youtube-Universum ist die 100.000er-Marke sowieso geknackt, und Raubkopierer sind mit der heißen Ware längst über alle Servergrenzen. Kein Spoiler ist, dass ich wegen „mippm kleinen Sattel“ 215 Milliliter Kaffee in meine drahtlose Tastatur gelacht habe. Das hat ein Nachspiel, meine Herren.

Neulich im Bundestag (7) – Gysis Kreuzworträtsel

Der ganze Rest zum An- und Durchspielen: im Archiv. Vorher Kaffee austrinken.

* Damit hier kein schlechter Geruch von wegen Selberweihrauch durchs Netz zieht: der „Böttcher“ in der Verantwortlichenzeile ist Böttcher d. J., nicht Böttcher d. Ä.

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Ein schwarzes Loch von einem Roman

Wow. An welchem Bahnhof klaut Steve Alten seine Drogen? Ich hatte The Shell Game gelegentlich gelobt und bleibe dabei, dass dieser nur dezent futuristische Polit- und Verschwörungsthriller ein fulminant gelungener ist*, aber Altens neues Buch 2012 – Die Prophezeiung ist ein unfassbar unlesbarer Klumpen Schrott. Gefühlt 800 Personen auf den ersten 100 Seiten, dazu zirka sechs Zeitebenen zwischen 1977 und 2042 im sinnlosen Wechsel, der nicht erkennbare Plot (?) zugequirlt mit der halben Wikipedia vom Eintrag „Cern“ bis zum Eintrag „Kabbala“ … also, Korrektur: Dan Browns The Symbol ist ab jetzt nur noch der zweitidiotischste Roman der letzten 5 Jahre.

* Altens Bücher gibt´s allesamt auf Deutsch. Außer „The Shell Game“.

** Außerdem heißt der Roman im Original „Phobos“, und hier einfach per Untertitel huckepack zu reiten, das gehört sich ja nu auch nicht, Wilhelm H.

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Text- und Terrorverarbeitung

Kurz vor dem finsteren Jahrestag des „Jahrhundertverbrechens“ ein paar Ergänzungen zum Stand von Terror und Verarbeitung: John S. Coopers Roman Das fünfte Flugzeug wird vom WDR am 1. 9. Und 8. 9. Jeweils um 23 Uhr als zweiteiliges Hörspiel aufgeführt, bearbeitet und inszeniert hat das Ganze der wunderbare Andreas Westphalen – der Roman bleibt natürlich lesenswert, ist aber nun auch überaus hörenswert. Und die darin entworfene waghalsige „Verschwörungstheorie“ ist zwar garantiert angreifbar, aber ebenfalls garantiert nicht halb so absurd wie die offizielle.

Zu jener gibt´s reichlich neuen Stoff, wie gelegentlich erwähnt, aber nachtragend sei nun auch noch Marcus B. Klöckners Beitrag erwähnt, nämlich 9/11 – Der Kampf um die Wahrheit. Absolut lesenswert und auf den Punkt, was die diesbezüglich unrühmliche Rolle der Medien betrifft (wozu ich dann allerdings auch noch mal einen Blick auf die jüngste heitere Entgleisung der seriösen BBC zu werfen empfehle. Libyer, die – live aus Tripolis – auf dem grünen Platz feiern, allerdings weder live sind noch Libyer, sondern erstens aus dem Archiv und zweitens Inder. Das hat schon was, frei nach dem Motto der Leitmedien: Mallorca, Mumbai – für unsere Zuschauer sehen die doch eh alle gleich aus.

Die belletristische Verarbeitung des Spiegelfechtens und -bombens hat übrigens SPON-Redakteur Yassin Musharbash in seinem Romandebüt Radikal ganz vorzüglich eingefangen – und Musharbash glänzt nicht nur mit Hintergrundwissen und erstklassigen Figurenzeichnungen, sondern auch einem verflucht realitätsnahen Plot: Wer da jetzt in wessen Auftrag wen beschattet, zerbombt und wer wem die Tat aus welchem Grund in die Schuhe zu schieben versucht, ist nämlich erfrischend irrwitzig. Und obendrein relevant. Sensationelles Debüt, das. Lesen.

Und falls noch einer kommt und aus seiner gemütlichen Schrankwand raunt, „Stört mich nich beim Fernsehen, so was gips doch alles gar nich!“ – Don Hazen (Alternet) ruft gerade zu Spenden auf, damit Investigativreporter Nick Turse weiter belegen darf, dass die USA ihre bestätigten Secret Operations zukünftig nicht mehr nur in 70 Ländern durchführen werden, sondern in 120 Ländern, sprich: Verschleppungen demnächst auch in ihrer Nachbarschaft, und alles ganz ohne Prozess.

Falls also jemand 100 Dollar übrig hat: Rüber damit zum Turse.

P.S.: Ach so, was den wunderbaren Westphalen betrifft – von dem gibt´s noch mehr Hörenswertes, und zwar das Feature Die Wahrheit aussprechen, ebenfalls beim WDR, und zwar am 30. August um 23 Uhr. Inszeniert als Gerichtsverhandlung, kommen Skeptiker wie Verfechter der konkurrierenden 9/11-Theorien zu Wort, und das verspricht doch mindestens hochspannend zu werden.

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Don´t mess with the RomCom Audience

James L. Brooks jüngste Komödie How Do You Know? (dt: Woher weißt du, dass es Liebe ist?) ist ein äußerst charmantes und kurzweiliges Vergnügen, hat aber trotzdem so zirka die schlechtesten Kucker- und Käuferbewertungen seit Angriff der Killertomaten, deshalb gestatte ich mir diese unmaßgebliche Empfehlung für einen der kommenden zirka 200 Sommerregentage. Jane Doe ist jedenfalls not amused und meint via IMDB-und-Amazon-Rezension von-bis: „complete waste of time“, „psychotic mess“, „a disgrace“, „worst movie in cinema history“, „horrible“, „no story line, no comedy“, „z-list script“, „awkward, stiple nonsense“, „defines rom com Torture in the 21 century“.

So weit die repräsentativen Stimmen der wütenden Ritalin-Abhängigen, die auf dem Weg zur Apotheke einen kurzen Abstecher ins Kino gemacht haben, um sich zu amüsieren. Die wenigen anderen (wohl zirka 5% des Publikums) mögen Szenen wie diese (keine Sorge, kein Spoiler, sondern exemplarische Erklärung): Das erfolgreiche und schlicht gestrickte US-Softball-Star-Girl Lisa (R. Witherspoon) verbringt eine Nacht mit Frauenheld-Major-League-Baseballstar Matty (L. Owen). Am nächsten Morgen bietet Matty ihr was zum Drüberziehen an, in seinem begehbaren Kleiderschrank, und findet auch was, einen pinken Sweater. Im Schrank, aus dem er den holt, liegen aber auch noch 10 weitere, alle frisch aus dem Laden, mit Aufklebern „M“, „S“ und „XS“, alle pink. Das findet Lisa natürlich nicht lustig und stürmt vorwurfsvoll aus der schicken Wohnung. Nu müsst´s weitergehen mit: Cut. Sowie Popcorn. Und dem Rest vom Bausatz: „Na, wie kriegen die 2 sich doch noch?“

Tut´s aber nicht, und zwar sofort. Denn Lisa macht auf der Schwelle kehrt, geht zurück zu ihrem dussligen Lover und entschuldigt sich, dass sie ihn angeschnauzt hat. Das war blöd, denn sie hattten ja tollen Sex, und er ist halt, wie er ist. Was sie ja auch wusste und weiß, und deshalb war´s dämlich von ihr, empört zu sein. Worauf der durchgehend fröhlich behämmerte Weiberheld („Good Game! Good Sex! Good Talk!“) sie anlächelt, nicht souverän, sondern verklärt, und sagt, er habe eigentlich gedacht, sie komme nur zurück, um ihn noch mal anzuschnauzen, aber so … habe sie sich gerade in seine absolute Traumfrau verwandelt.*

Das ist … nasagenwirmal erstens komisch, weil Witherspoon und Owen es blitzsauber spielen, zweitens überraschend, drittens subtil und hat vor allem verdammt viel mit Liebe zu tun, allerdings nicht mit dem, was Bunte-Leserinnen drunter verstehen. Und so geht´s dann eigentlich die ganze Zeit weiter. Brooks (Buch und Regie) macht alles anders als die anderen Kinder, und so lässt sein Film die normale „Rom-Com“-Kartoffel wenigstens ratlos, mehrheitlich aber stinksauer zurück. Denn „Pragmatismus“ spielt hier nicht mal eine Nebenrolle, schon gar nicht im kernverlogenen ZDF-und-Lore-Roman-Dauergewand „Romantik“.

Ich habe lange nicht mehr so viel & herzlich gelacht. Zuletzt vermutlich bei Brooks Spanglish, der sogar noch ein bisschen toller ist als dieser, was in so fern keine Kunst ist, als Spanglish ja nun mal zu den schönsten Filmen aller Zeiten gehört. Aber How Do You Know ist, was Herz und Hirn betrifft, dicht dran. Und verständlicherweise bei den Herz- und Hirntoten durchgefallen, die eben nicht mal die Frage verstehen: „Woher weißt du, dass es Liebe ist?“.

In Memoriam: Stefan Schulder, der mich zu Lebzeiten aus einem Kölner Café anrief und sagte, „Pass auf, hier sitzen am Nachbartisch so drei superschicke Frauen, die sind alle mit so SUV´s vorgefahren, und die eine sagte gerade zu den anderen beiden, „Also, ich liebe meinen Mann aus ganz anderen Gründen“, und die beiden anderen haben verständnisvoll genickt.“ Worauf ich furchtbar lachen musste, Schulder lächelnd sagte, „Siehst du, deshalb hab ich Dich angerufen; ich kenn außer dir niemand, dem ich nicht erklären muss, warum das zum Schreien komisch ist.“

Brooks hätte er auch anrufen können.

* Spoiler: Wieso sollten die 2 sich kriegen? Was wär denn daran echt, wahr oder komisch?

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Raumschiff Erde

Als Buckminster Fuller 1969 seinen auch heute noch überaus lesenswerten Essay Bedienungsleitung für das Raumschiff Erde vorlegte und am Rande der Metapher konstatierte, eben diese Bedienungsanleitung sei nicht mit geliefert worden, mithin der Mensch seit jeher ein Autodidakt im All, klang immerhin noch leise Hoffnung mit – Hoffnung auf die Phantasie von Architekten und Designern, Hoffnung auf ein Ende der alles vernichtenden Expertokratie. Davon ist nicht allzu viel geblieben, das Raumschiff steuert mit immer höherem Tempo auf eine multiple Katastrophe zu, und Peter Sloterdijk fand in seiner Rede anlässlich des Kopenhagener Klimagipfels 2009 eben hierfür die richtige Metapher: „Der Umgang der Menschen mit ihrem Planeten gleicht dann einem Katastrophenfilm, in dem rivalisierende Mafiabanden sich an Bord eines Flugzeuges in 12.000 Meter Höhe ein Gefecht mit großkalibrigen Waffen liefern.“

Dass Sloterdijk dieser Metapher einen fast esoterisch anmutenden Hoffnungsschimmer folgen ließ, nämlich die Aussicht auf qua Wissenschaft erzielte Effekte, die „einer Multiplikation der Erde gleichkommen“, war wohl dem Publikum geschuldet, denn man will ja als zur Klimakonferenz geladener Philosoph nicht ausschließlich schlechte Laune verbreiten. Jenseits dieser Höflichkeiten aber blieb Sloterdijk erfrischend deutlich: selbst wenn die Götter Hirn vom Himmel regnen ließen und wir einsähen, dass unser Verhalten uns umbringt, würden wir es nicht ändern – Verzicht liegt einfach nicht in unserer Natur, dafür aber ist dort, nach nun schon Hunderten von erfolgreich zivilisierten Jahren, die längst von der Wirklichkeit überholte Vorstellung von, „Wachstum“ als Allheilmittel felsenfest verwurzelt, besser gesagt: zementiert.

Die unlängst von Suhrkamp in der edition unseld herausgegebene Essaysammlung Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang umfasst neben der Rede Sloterdijks Texte von Paul J. Crutzen, Mike Davis sowie Michael D. Mastrandrea und Stephen H. Schneider. Letztgenannte fassen den besorgniserregenden Zustand des Raumschiffs in auch für Laien verständlichen (und nur gelegentlich vereinfachenden) Worten prägnant zusammen, Davis wagt ein im guten Wortsinn sozialistisches Plädoyer, und Crutzen erklärt dankenswerterweise zum xten Mal, in welcher Form die Auswirkungen unseres Handels im „Anthropozän“ eskaliert sind – und weiter ungebremst eskalieren.

Sloterdijks versöhnliches Schlusswort kurz vor der Eröffnung des Klima-Buffets macht indes wenig Hoffnung, aller Klarheit zum Trotz: „Sollte die große Autodidaktik so weit kommen, die Emissionen der Ignoranz in Grenzen zu halten: Es könnte dies nur geschehen dank der intellektuellen Integrität all derer, die heute die Verantwortung für ihr positives Wissen und ihre dunklen Prognosen übernehmen.“

Viel verlangt. Oder, mit dem Philosophen House gesprochen, „Hope is for sissies“. Dennoch: setzen wir Astronauten unverdrossen unsere rosaroten Schutzbrillen auf, mangels Alternativen, und konstatieren trotzig: Der Ausgang ist offen.

Buckminster Fuller: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften, Philo Fine Arts 1998, 318 S., 18 €.
Paul Crutzen u. a.: Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang, edition unseld 2011, 120 S., 10 €.
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Freud (#1)

„Ich glaube, dass wir ziemlich viele massive Probleme zu bewerkstelligen haben.“ (Angela Merkel im gestrigen Sommerinterview. Im Schatten, aber trotzdem nicht ganz richtig.)

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