Mathias Bröckers & Christian C. Walther

… haben ein lesenswertes neues Buch veröffentlich, nämlich 11. 9. – 10 Jahre danach: der Einsturz eines Lügengebäudes, sich aber damit dummerweise ein öffentliches Lob des ARD-Kulturmagazins Titel, Thesen, Temperamente eingefangen, gipfelnd in der kühnen Behauptung des Beitragsautors, Journalisten dürften „unbotmäßige Fragen“ stellen. Die Reaktion des medialen Mainstream auf diesen meinungsfreien Ausrutscher der ARD ist interessant.

Mit freundlicher Genehmigung der Autoren gestatte ich mir aus Walthers vorgestrigem Blog-Eintrag zu zitieren, nämlich eine kurze Randbemerkung zum druckfrischen FAZ-Beitrag Was geschah am 11. September – Wahrheit und Verschwörung: Die ARD präsentiert ein Panorama der Unsicherheiten.

„Der Beitrag von Rafael Gross ist in jeder Hinsicht lesenswert, denn Gross‘ Haltung ist eben die, die wir im Nachwort unseres Buches beschreiben – da er das Buch nicht kennt, sondern es bloß verboten wissen möchte, konnte er sich zum Inhalt zwar nicht äußern, wohl aber feuert er schwere Geschützhülsen ohne Zögern ab, denn das gelingt um so problemloser ohne vorherige Lektüre. „Verschwörungstheoretiker“, das versteht sich ungelesen von selbst, aber es explodieren auch „paranoide Pseudoenthüllungen“, „sektiererisch“, „Antisemitismus“, „Antiamerikanismus“, „Mein Kampf“, „Die Protokolle der Weisen von Zion“, „Eugeniker“, kurz; „Irre“. Da bleibt nicht viel, und jede die Bitte um wenigstens ein Mindestmaß an Sachlichkeit wird an FAZ und Gross abprallen, denn, so Gross, ein „gravierender Mangel zeichnet den Verschwörungstheoretiker geradezu aus“, nämlich der an „Urteilskraft.“ Recht hat er.

Wichtiger aber ist der Kern der FAZ-Kritik, denn der Kolumnist rückt ja nicht nur die Autoren in die Nähe von „Rassentheoretikern“, sondern weiß von erst recht von einer „Überwachungsinstanz“ in der ARD, die letzte Woche „in skandalöser Weise versagt“ hat. Denn letzte Woche hatte Tilman Jens in „Titel, Thesen, Temperamente“ unser Buch vorgestellt und in seinem Bericht seine Meinung kund getan, es müsse Journalisten erlaubt sein, nach gründlicher Recherche Fragen zu stellen – auch solche, die anderen „unbotmäßig“ vorkommen. Gross ist gänzlich anderer Meinung: Nicht nur ist das Formulieren von Fragen zum Hergang des 11. 9. per se unzulässig, die Überwachungsinstanzen der ARD wachen auch darüber, dass die Öffentlichkeit von solchen Fragen gar nicht erst erfährt. Er hat also schon wieder recht: Die Überwachungsinstanzen haben dieses eine Mal skandalös versagt. Und wir dachten schon, wir wären paranoid. Denn bis heute wussten wir ja gar nicht, dass in der ARD tatsächlich Überwachungsinstanzen gibt, die redaktionelle Berichte über „unbotmäßige Journalistenfragen“ verhindert.

Auch wenn es Schwäche verrät, unsererseits: es gibt diese Momente, in denen man problemlos mit etwas weniger Erkenntnis auskäme.“

Die geschliffenen Kommentare zum Kommentar finden sich hier, das Buch findet sich in jeder gut sortierten Buchhandlung, jedenfalls noch. Sollte die FAZ gehört werden, landet es ungelesen auf dem Index und wird nächste Woche verboten. Falls, bleiben dem am den eklatantesten Widersprüchen des Falles „9/11“ interessierten Leser wahlweise die älteren Werke von Bröckers und Walther oder das frisch erschienene Inside 9/11 von Paul Schreyer und Jürgen Elsässer. Auch die widerlegen nämlich in ihrem schnörkellosen Bericht präzise anhand dreier wichtiger Beispiele die „offizielle Verschwörungstheorie“, also jene, die in den Geschichtsbüchern steht. Hingegen ist Kevin Fentons ebenfalls gerade veröffentlichtes Disconnecting The Dots für Laien vermutlich ungeeignet, weil lobenswert vollständig betreffend die Rolle der US-Geheimdienste beim Gelingen des Jahrhundertverbrechens.

Wer indes – wie FAZ-Kolumnist Gross – zurecht fürchtet, nach etwaiger Würdigung der Fakten mit erschüttertem Weltbild dazustehen, findet so kurz vor dem 10ten Jahrestag des alles verändernden Anschlages immerhin auch anderswo bedenkenswerte Anstöße, zum Beispiel beim (die offizielle Lesart nicht in Frage stellenden) Geschichts- und Gewaltexperten Bernd Greiner, der in 9/11 – Der Tag, die Angst, die Folgen dokumentiert, wie Anti-Terror-Kriege und USA-PATRIOT-Gesetze zum Schutz unserer Freiheit eben jene Freiheit förmlich vernichten; und erst recht in Dominic Streatfeilds A History of The World Since 9/11. Anders als Greiner, der sich mit besorgt gerunzelter Stirn über die neuen Gesetzbücher beugt, blickt Streatfeild hinaus in die Welt und dokumentiert anhand von 10 Einzelschicksalen die Folgen des 11. September – vom kriminellen US-Patrioten, der den Anschlag als Rechtfertigung für einen Mord an einem gesetzestreu und fleißig in der Nachbarschaft lebenden „Sand Nigger“ benutzt, von irakischen Boat People, die als Terroristen weggesperrt werden (und en passant den australischen Konservativen zum Wahlsieg verhelfen), bis zu den Teilnehmern afghanischer Hochzeitsfeiern, die von US-Bombern ausradiert werden.

Streatfeilds Quintessenz ist einstweilen nichts hinzuzufügen: „Doubtless there is a case to be made that the world changed as a result of 9/11. But how it changed was not up to Bin Laden, al-Qaeda or the Taliban. It was up to us. We could have reacted differently. We didn´t.

As a result, the situation in which we currently find ourselves is not one that has been thrust on us. Is´s one that we have chosen. Al-Qaeda doesn´t threaten our existence. It never did. Our reaction to it just might.“

Mathias Bröckers/Christian C. Walther: 11. September – 10 Jahre danach: Der Einsturz eines Lügengebäudes. Westend 2011, 320 S., 16.99 €
Paul Schreyer/Jürgen Elsässer: Inside 9/11 – neue Fakten und Hintergründe zehn Jahre danach. Homilius 2011, 119 S., 8.80 €
Kevin Fenton: Disconnecting The Dots – How 9/11 Was Allowed to Happen. Trineday 2011, 480 S., ca. 20 €
Bernd Greiner: 9/11 – Der Tag, die Angst, die Folgen. C. H. Beck 2011, 280 S., 19.95 €
Dominic Streatfeild: A History of the World Since 9/11. Atlantic Books 2011, 408 S., ca. 15 €.
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Zahlen, bitte! (#1)

Ommmmm. (Lasst euch nicht stören, ich will´s nur mal kurz hinschreiben, damit ich´s selbst verstehe, in Sachen „Geld“ und so:) … Wir leihen jetzt z. B. erstmal Griechenland (und danach Irland, Portugal und den USA) einen Sack Milliarden, damit – erstmal – die Griechen ihre Zinsen zahlen können. Okay. Damit wir uns nicht missverstehen: Ihre Schulden können die Griechen natürlich nicht zurückzahlen, wohl aber für eine Weile die höheren Zinsen auf diese demnächst höheren Schulden, sprich: die ganzen gepumpten Milliarden fließen allmählich wieder zu uns zurück. Und genau das ist natürlich gut. Und wichtig, denn von eben diesen Zinszahlungen bezahlen wiederum wir unsere laufenden Ausgaben. Für dies und jenes. Renten. Arbeitslose. Panzer. Und unsere eigenen Zinslasten.

Nur deshalb muss also Griechenland dringend „gerettet“ werden, denn ein Ausfall des Schuldners hätte in der Tat fatale Folgen. Wir machen uns das der Einfachheit halber über den Gartenzaun klar. Mein Nachbar (nennen wir ihn Keule) verdient 1.800 Euro netto im Monat, wollte aber gern ein Doppelhaushälften-Eigenheim, nämlich seine derzeitige Bude, also hab ich ihm die 200.000 Euro für den Kauf geliehen. Vereinbart haben wir günstige 5% Zinsen & 1% jährliche Tilgung, also 1.000 € monatlich. Da Keule intellektuell leicht gehandicappt ist und gern am Baggersee sitzt und zudem seine Frau gern Küchengeräte bestellt, die aber nicht auspackt, geschweige denn benutzt, kommen Keule, Frau und Kind mit den verbleibenden 800 Euro natürlich nicht hin und müssen schon Mitte des Jahres um Stundung und Aussetzung der Zinszahlungen bitten. Da mache ich natürlich gern mit, stocke den Kredit um 20.000 auf und beruhige die Nachbarn: Alles wird gut. Erleichterung allerorten. Die monatliche Verzinsungslast bleibt gleich, allerdings jetzt auf 220.000 Euro, macht: 1.100 € monatlich. Von denen ich wiederum die Ausbildung meiner Kinder bezahle, denn die könnte ich mir andernfalls nicht leisten, sowie mein Leasingauto. Spätestens zwei Jahre nach der ersten Aufstockung ist Keule wieder in der Klemme, und wir einigen uns erneut auf eine Kredit-Aufstockung, diesmal auf 250.000 Euro. Und gewinnen beide. Keule kann weiter in seinem Haus wohnen und am Baggersee Souvlaki essen, ich kann weiter die Ausbildung meiner Kinder bezahlen und Mini fahren. Im Wissen: falls je alle Stricke reißen und der Penner sein Budget weiter überzieht, zwinge ich ihn irgendwann zur Ausgabenkürzung (unter Rausschmissdrohung), nehme dann seiner Frau alle Küchengeräte und das Tafelsilber weg, und, wenn das nicht reicht, auch noch den Fernseher. Sollte der Loser am Ende trotzdem Privatinsolvenz anmelden, fliegt er aus dem Haus, das ja de facto meines ist – und das ich jederzeit wieder für die 1.000 Euro im Monat vermieten kann, die ich zur Bestreitung meiner Kosten dringend brauche. So oder so: Ich bin fein raus, als Geldgeber und Gläubiger.

Um es abzukürzen: Das Problem mit Keule Griechenland ist, dass ich im Fall der Privatinsolvenzanmeldung nicht an das Haus komme und es auch nicht anderweitig vermieten kann. Das Haus steht nämlich nicht nebenan, sondern weit weg, und „Keule“ könnte einfach die Mietzahlung einstellen und umsonst weiter bei mir wohnen. Weil ich nämlich nicht die Polizei rufen und ihn rauswerfen lassen kann. Aus Griechenland. So bliebe mir dann nur die schlichte Katastrophe: mein Geld wäre weg, das Haus unerreichbar, meine Zinseinnahmen würden versiegen, meine Kinder müssten die Ausbildung abbrechen und ich fortan Fahrrad fahren.

Deshalb braucht Griechenland den neuen Kredit. Oder die Umschuldung. Dringend. Verstanden. Das war leicht.

Klar ist aber bitteschön auch, und zwar auch jedem geistig Gehandicappten, dass das Problem nur auf allerhöchstem Niveau vertagt worden ist, in die nahe Zukunft. Denn Keules Kredit ist gerade wieder gestiegen, und seine monatliche Last erst recht. Von den Schulden kommt er eh nie wieder runter, also blasen wir doch die Blase noch ein bisschen dicker und warten auf den Knall.

Wie, wir haben nichts aus der explodierten US-Häuserblase gelernt? Doch, haben wir! 2008 waren´s nur die Banken, und die Objekte waren pfänd- und kassierbar. Diesmal liegen die Dinge anders, nämlich jenseits unserer Reichweite.

Es wird drum umso ohrenbetäubender lärmen, beim Einsturz, aber Janne Teller (siehe hier) irrt sich trotzdem: Die wütenden Griechen kommen nämlich mit ihren Kampfjets gar nicht bis München, denn wir verkaufen ja nur minderwertige Waffen ins Ausland und behalten die besten Bomber für uns selbst, zur Bedienung durch unsere gerade aufgestockte, hochqualifizierte … Truppe. (Wie, ich bin nicht auf dem neusten Stand?)

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Energiegeladene Gutbürger (nach Diktat verreist)

Rund. Während weiter alle Machbarkeitsstudien in Sachen Energiewende fehlen, fühlen wir uns blendend mit unserer weltweit vorbildlichen „Atomkraft, nein Danke!“-Übereinkunft, ignorieren dabei höchstens, dass unsere neuen Siemens-Werke bloß fünf Meter hinter den Grenzen in Tschechien und Frankreich gebaut werden (wohl im Glauben, dass Strahlung ohne gültigen Ausweis nicht einreisen darf) und lassen einstweilen vollständig unter den Tisch fallen, dass wir doch eigentlich Klimaweltmeister werden und auf keinen Fall weitere Kohlekraftwerke bauen wollten – was ja 2011 gebotener wäre denn je, nachdem wir im letzten Jahr die klimarelevanten Emissionen nicht direkt maßgeblich reduziert haben, sondern um 6 Prozent gesteigert.

Die ganze Debatte kreist, wenn denn überhaupt um irgendwas, so im medialen „off“, um den Ausbau von Leitungen, um die ganze schicke neue Energie aus Windparks in die Haushalte zu leiten, gleichzeitig wird der Ausbau dezentraler Photovoltaikversorgung aus dem Subventionsprogramm gestrichen, und niemand weist auf den kardinalen Denkfehler hin, der dieser ganzen Milchmädchenrechnung zugrunde liegt: Das überaus Charmante an den „neuen“ Energiequellen Wind und Sonne ist nämlich, dass beide dezentral genutzt werden wollen, sprich: die Versorgung von Einzelhaushalten und dörflichen Gemeinschaften vor Ort zu bewerkstelligen ist. So simpel diese Erkenntnis ist, so schlicht kollidiert sie aber auch mit dem Geschäftsmodell der etablierten Versorger, denn jenes basiert im Kern auf: Energiegewinnung in Zentren (Kraftwerken) sowie der Versorgung von dort aus. Deshalb: Windparks. Also: neue Kraftwerke, diesmal windige. Sowie neue Kabel. Statt Autarkie, sprich: Solarzellen, Windspargel etc. im eigenen Garten, unterstützt von dicken Batterien im eigenen Keller.

Wieso einem das keiner sagt? Und wo eigentlich die Grünen abgeblieben sind? Mei. Man legt sich auf dem Weg an die Macht halt besser nicht mit denen an, die die Wahlen entscheiden, also der Industrie und deren mächtigen medialen Lobbyrohren. Dumm nur, wenn man dazu seine gesamte Philosophie verraten muss.

Der bürgerliche Rest sonnt sich in allgemeinem Wohlfühlen und Ablehnen. Als ich vor kurzem einen befreundeten Biogas-Anlagenbetreiber fragte, ob er denn nicht einen zweiten Kessel neben seinen bereits erfolgreich laufenden platzieren wolle, winkte der bloß müde ab und berichtete vom Protest der bewegten Bürger in der nächstgelegenen, aber doch deutlich entfernten Kleinstadt. Die Gutbürger nämlich finden es ganz unerträglich, dass nun dreimal im Jahr diese „Panzer“ durch ihre Straßen rollen und die armen Kinder erschrecken, sprich: dass da diese großen Lastwagen durchrumpeln, mit denen man den Kompost nun mal transportieren muss, will man ihn in Kesseln blubbern lassen. Drum: Abgelehnt, das Ansinnen der Komposter. Genauso wie die Windspargel, denn die verschandeln die Landschaft. Und so fort. Kommt uns nicht in die Gegend, denn alles soll ja normal und natürlich bleiben. Der Strom kommt ja weiter aus der Steckdose, irgendwie.

Und das „Klima“, mei, das tut sich ja nun derzeit wirklich keinen Gefallen mit diesem durchwachsenen Mistwetter. Wie soll man all diese fernen Dürren und verdurstenden Afrikaner ernst nehmen, so mitten im dauernden Sommerregen, der einem den ganzen Jahresdritturlaub versaut. Da muss sich die Erderwärmung schon an die eigene Nase fassen, wenn sie es mit so ner lausigen Performance nicht mehr in die Schlagzeilen schafft.

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Es gibt kein wahres Leben im Echtleben

Tja. Viel besprochen und von den Kollegen gelobt: Katja Kullmann, studierte Freelancerin im Hochglanzschungel, Bestseller (?)-Autorin mit einer Schrift über den Zeitgeist und anderer Leute Kunst (Generation Ally), vorübergehende HartzIV-Empfängerin nach dem Abbröckeln des Kurzruhms – und jetzt, mit 40 und den Memoiren, Teil 1, wieder in aller Munde. So weit, so meinetwegen. Aber was will sie uns oder z. B. mir, der ich bloß ein paar Jahre älter bin als sie und im weitesten Sinn in der gleichen Branche unterwegs, jetzt damit sagen, mit ihrem Echtleben? Dass man als KünstlerIn, als AutorIn scheitern kann – sogar ohne Kinder, ohne Scheidung und ohne schwere Krankheit? Dass man einfach so scheitern kann, wegen „weiß auch nicht“, „hab ich nie drüber nachgedacht“ oder „eigentlich kann ich auch gar nichts besonders gut“, scheitern als zum Beispiel – Katja Kullmann? Oder wollte sie nur festhalten, dass unsere Künstler und Autoren von Jahr zu Jahr schlechter bezahlt werden? (Könnte das daran liegen, dass inzwischen jeder Künstler, Autor, Leser-Reporter und Twitterblogger ist – und dass die Nachfrage einfach nicht Schritt halten kann? Und könnte man darüber nicht sogar mal … nachdenken? Oder etwas schreiben?)

Kullmanns Buch ist sehr persönlich. Und legt persönlich Zeugnis ab vom Beliebigen, Austauschbaren. Schreiben kann sie, ohne Frage – aber was noch? Sympathisierend, aber hilflos lese ich diesen 250-Seiten-Bericht und frage mich bis zum Ende: wozu eigentlich? Nur um bestätigt zu finden: Autoren von diesem Kaliber gab es schon immer, und sie hatten es immer schwer?

Was vollständig fehlt ist ein Blick über den Tellerrand, über das laute Ich hinaus. Eine Analyse, wenigstens eine Mutmaßung, eine Ahnung, was geschieht, weshalb es geschieht, was ggf. sogar wie zu ändern wäre; eine Haltung, in der Tat, nicht zum Ego, sondern zum Ganzen. Aber auch das steht ja drauf, im Untertitel: Warum es heute so kompliziert ist, eine Haltung zu haben. Warum es für Kullmann schwer ist, erschließt sich jedenfalls erschöpfend, und tatsächlich sucht man auf den 250 Seiten bis zuletzt jegliche Haltung zu irgendwas vergeblich.

(Kaufen wollen wir das Buch trotzdem. Denn Kullmann soll ja nicht verhungern, und Eichborn erst recht nicht. Und solange wir außer der Krücke Flattr (check: hier) keine Idee entwickelt haben, wir wir unsere Künstler retten können, geht´s ja weiterhin nur so: qua 10% vom Ladenpreis als Life Support.)

Katja Kullmann / Echtleben – Warum es heute so kompliziert ist, eine Haltung zu haben. Eichborn 2011, 255 Seiten, 17.99 €

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Frisch und blutig aus dem Wildwest-Kreißsaal

True Grit sollte man nicht (wie yours truly) unmittelbar nach 36 Folgen Deadwood sehen, denn im Vergleich mit der Wildwestgeburtsstundenserie von episch finsterer Größe wirkt das Stück der geschätzten Coens bloß noch klein, niedlich und mäßig inspiriert. Was es wohl auch ist.

Aber natürlich spielt Jeff Bridges einen hervorragenden John Wayne (auch wenn er seit Scott Coopers (unbedingt sehenswertem) Crazy Heart nichts dazulernen musste, außer Danebenschießen.)

Deadwood, Staffeln 1-3, 2005-2007. HBO, im Fachhandel (zwischen 50 € (UK) und 120 € (D). Es empfiehlt sich dringend der Genuß der Originalversion, denn das Epos gewinnt einen großen Teil seines Charmes durch den Zusammenstoß der gehobelten und ungehobelten Dialekte, die bei der Gründung des Land of The Free mitreden durften.
True Grit, 2010/11, DVD ab 30. Juni für zirka 15 € im Handel.

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John Stewart, again

Wer am Wochenende 24 Minuten Zeit hat und wissen möchte, was a) im US-Medienmainstream falsch läuft, erst recht aber b) im Umkehr- und Weiterschluß, was bei uns alles nicht mal falsch läuft, sondern gar nicht, der leihe seine Augen und Ohren dem wunderbaren John Stewart, interviewt von Fox-Host Chris Wallace, und zwar hier (die ungekürzte Version): „The only bias of the mainstream media is towards sensationalism, conflict and laziness.“ Hört, hört!

Man stelle sich das vor: Wir hätten einen einzigen „Comedian“, dem man wenigstens vorwerfen könnte, er habe eine Agenda und sei „parteilich“. Und der werde zum politischen Einzelgespräch geladen, ernsthaft befragt und sage dann – respektvoll und doch zurecht – zum Beispiel zu Frau Illner: „You are insane“. Ohne deshalb gleich am nächsten Morgen auf dem Boulevard geteert und gefedert zu werden …

Nein, das ist … surreal. Überhaupt: diese ganze Haltung. Diese Bereitschaft, sich respektvoll zu kloppen, verbal. Das ist alles ein paar Millionen Lichtjahre weiter von uns entfernt als die Küste am anderen Atlantikufer; das ist reine Fantasy.

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Satan, graumeliert

Beginnen wir zufällig mit „Jauche im Blut“, dem Kapitel V – einem Referat über die Verseuchung der Gewässer und die Folgen in Form von tödlichen tierischen Darmbakterien mitten in der Nahrungskette. Danach schreiten wir dann in der vom Autor gewünschten Reihenfolge von vorn bis hinten durch die knapp 500 Seiten und lauschen den Vorträgen der zuständigen Hilfsteufel aus den Dezernaten Fortschritt, Versteppung, Verpestung, Verseuchung, Feinkostvergiftung, Zerstörung der Arbeitsmoral durch Automation, gönnen uns die Erfolgsbilanzen des Medizinteufels und des Atomteufels …

Das drum herum gestrickte „Format“ ist schlicht, aber hübsch: Vier Menschen, mehr oder weniger zufällig ausgewählt, müssen sich diese gesammelten Schauerbilanzen der satanischen Abteilungsleiter vom „Boss“ anhören, hoch über den sterblichen Dingen in seinem Wolkenkratzer aus Glas und Stahl; die Analyse ist treffend und mit Unmengen Zahlen angereichert, aber am allerbemerkenswertesten ist, dass das hiermit angepriesene hellsichtige Buch nicht direkt aus dem Frühjahrsprogramm 2011 der deutschen Verlage stammt, sondern von 1958.

Es heißt: Der Tanz mit dem Teufel – ein abenteuerliches Interview*, und geschrieben hat´s Günther Schwab, ein fleißiger Förster und Journalist, geboren in Prag, gelebt und gestorben in Österreich. Beeindruckend ist das Werk nicht nur, aber durchaus auch wegen der akribischen Dokumentation (ich erspare mir den Hinweis, dass so etwas in Zeiten vor Textverarbeitung, Google und Wiki eine echte Herkulesaufgabe war), erst recht aber ist das Ganze erschütternd.

Was haben unsere Eltern eigentlich 1958 gemacht? DSDS gekuckt? Oder vor lauter Blättern im Otto-Katalog nicht mitgekriegt, dass eine der bloß 4.000 Neuerscheinungen des Jahres 1958 ihnen vollrohr an den Nierentisch hätte gehen müssen?

Bloß nicht drüber nachdenken. Denn diese Vollpfosten kann man ja nicht mal enterben, geschweige denn ihnen die Leviten lesen. Da sei das andere dicke Buch vor; um Haaresbreite …

Günther Schwab, Der Tanz mit dem Teufel – ein abenteuerliches Interview. Sponholz 1958/1991, 492 S., 14.90 € (TB); meine frische antiquarische Ausgabe sieht aber eindeutig besser aus …
* Wie oder wieso ich, bitte, über so was stolpere? Mei. Manchmal hat diese ganze fiese KI ja auch Vorteile, zum Beispiel dann, wenn man in einem neugierigen Moment bei den Amazonen nachschaut, wie denn das eigene neue Buch und die frischen Bücher der geschätzten Freunde und Verwandten so dastehen, in den Charts. Da schlägt dann nämlich der smarte Rechner nach Eingabe der als Öko-Thriller getaggten „Prophezeiung“ sowie von Jens Böttchers neuem und exzellentem Interview mit dem Teufel – eben: Günther Schwab vor. Und da könnt´ man dann doch glatt seinen Frieden mit dieser ganzen Totalerfassung machen, stundenlang.
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