Neo-Luddisten, ihr seid nicht allein

Facebook ist angeblich ungefähr 80 Milliarden wert, David Finchers Film The Social Network mit Sicherheit jeden Cent (und, mächtiger Vorteil, man darf seine Seele behalten, wenn man reinschaut). Fincher schafft es tatsächlich, den wahlweise Guru oder Satansbraten Zuckerberg weder zu verherrlichen noch vollständig in die Pfanne zu hauen, sondern zeichnet ein wunderbar beunruhiges Bild unseres größten Wirtschaftshelden, des pseudohuman verlängerten Arms der Maschine. Es steht daher – aufgrund dieser mordsausgewogenen Eleganz des Kunstwerks – zu befürchten, dass es dem porträtierten Monster Facebook sogar noch weitere Kunden zutreibt. Aber da stehen wir natürlich drüber, wir letzten vernunftbegabten Verweigerer – und lesen endlich Jaron Lanier, dessen You Are Not a Gadget unlängst auch auf Deutsch erschienen ist; die Lektüre empfiehlt sich aber offenbar weiter per Original, sofern ich den ungewöhnlich wüsten Übersetzer-Beschimpfungen im amazon-Kosmos glauben darf …

Den Jahrgängen 1940 bis 1968 sei wahlweise das erheblich leichtere Früher-war-alles-besser-Sammelsurium von Thomas Montasser ans Herz nämlich: Weil die Erde keine Google ist. Montasser, lehrend an der Münchener Uni, ist eisern weltfremd, besitzt weder Handy noch Spielkonsole und hat eigenen Angaben zufolge noch nie eine SMS geschrieben. Dafür aber drei Dutzend lässig hingeplauerte kurze Aufsätze (oder sind´s Glossen?), von denen wenigstens ein Dutzend Unterhaltungswert hat. Spaß, milder, kurzweiliger: für Ewiggestrige und solche, die es werden wollen.

Jaron Lanier – You are not a gadget, Penguin (TB, 2011), um 11.00 €. Deutsch als Gadget: Warum die Zukunft uns noch braucht (Suhrkamp 2010, 247 S., 19.90 €)
Thomas Montasser: Weil die Erde keine Google ist (240 S., Heyne, 2010, 16.99 €)
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Lars von Gore, erledigter Fall

Fehler. Antichrist gesehen. Weil ich Lars von Trier früher mochte. Widerwärtiger Film. Aber nicht so vergleichsweise harmlos widerwärtig wie Saw und Konsorten, sondern noch viel widerwärtiger. So was sehen sich Cineasten an, richtig? Im Rollkragenpulli, mit Kinnbärtchen und Brille? Daumen und Zeigefinger nachdenklich am Kinn, raunend von tieferer Bedeutung? Ehrlicher wär´s – für den Filmschaffenden wie seine Anhänger, man träfe sich zuerst zum Youporn-kucken und danach zu einer Runde Texas Chainsaw Massacre, aber das ist natürlich keine Kunst.

Was finde ich eigentlich gestörter? Die sogar für abgestumpft Gore-gestählte Empfänger brechreizerregenden Schockbilder, die einzig die tiefsitzende Verhaltensstörung des verklemmten Publikums bedienen, oder die haarsträubende „tiefere Bedeutung“. Was sagt uns der Künstler und aggressive Selbsttherapeut mit diesem sehr persönlichen Zelluloid-Bekenntnis, außer, glasklar: „Frauen sind krank, verderbt, teuflisch und gemeingefährlich, und zu helfen ist denen sowieso nicht, selbst wenn Mann sich dazu herablässt, sie nach Gutsherrenart zu vögeln“? Nee, Patient Lars, das kommt von so weit unterhalb des Stammtischs, da fällt wirklich kein Lichtstrahl mehr hin.

Wer Probleme mit Mutti hatte oder hat (mit welcher Mutti auch immer): Eminem hören. Erste CD. Das muss allemal reichen.

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Zahlen statt Adjektiven

Ein kurzer Nachtrag in eigener Sache – resp. in Sachen „Prophezeiung“, weil interessierte Frager und Leser mir nun doch irritierend oft eine blühende Phantasie unterstellen resp. mich fragen, aus welcher Fantasy-Erzähler-Hirnkammer ich denn solche verrückten Ideen wie „Wolkenboote“, „Aluminiumschnipsel“, „Schläuche in die Stratosphäre“ oder „Vulkansprengungen“ nehme: Meine Erfindungen beschränken sich auf Story und Charaktere. Wohl wahr – die Interpretation der (tatsächlichen) Klima-Daten durch meine (fiktiven) Wissenschaftler mag nicht durchgehend derzeitige Lehrmeinung sein (insbesondere was die Beteiligung der Sonne an terrestrischen Klimaerscheinungen betrifft), die fixen oder schicken Ideen der Geo-Ingenieure hingegen sind keine Erfindungen meinerseits.

Bei Interesse an Salters Wolkenbooten werfe man z. B. einen ersten Blick hierher (Scientific American) und arbeite sich von dort aus fasziniert vorwärts durchs Netz, der „Schlauch in den Himmel“ und das Hurricane Prevention System waren erstmals 2009 von auch allgemeinerem Interesse (Independent), Nathan Myrhvolds Intellectual Ventures sind sowieso einen Blick wert (Intellectual Ventures), die nukleare Vulkan-Schnapsidee ist nicht nobelpreisverdächtig, aber auch nicht neu (Zeit), und eine kurze, aber treffende Kritik an den ganzen Vorhaben gibt´s exemplarisch hier (Capital) aus ökonomischer Sicht.

Überdies schließe ich mich einer der Literaturempfehlungen meines Protagonisten Beck ausdrücklich und nachdrücklich an. Wer auch nur hauchzart daran interessiert ist, die derzeitige Debatte um „regenerative Energien“ überhaupt zu verstehen und nicht im Ungefähren zwischen Quecksilberbirne und Knut-Stofftier hängen bleiben möchte, der rufe sich – übrigens kostenfrei – David JC MacKays exzellentes Werk Without The Hot Air aus dem Netz herunter (Download). WTHA liefert Zahlen statt Emotionen, allerdings nicht komplexe Formeln aus dem IPCC- oder konkurrierenden NIPCC-Kosmos, sondern Zahlen, die jedermann und jedefrau umgehend begreift. Denn Prof. MacKay – Energiepolitischer Berater der britischen Regierung – macht sich lediglich die Mühe, unseren Energieverbrauch (pro Kopf) festzustellen und den Output unserer derzeitigen Quellen mit dem aus denkbaren zukünftigen Quellen zu vergleichen. Mittels diverser Szenarien, die – wie MacKay fröhlich einräumt -, alle Kostenfragen zunächst einmal außer Acht lassen; denn schon unter Weglassung der Frage nach der wirtschaftlichen Machbarkeit der „grünen Revolution“ sprechen die Zahlen für sich: Wir brauchen nicht nur ein paar wirklich originelle Einfälle aus der Abteilung Research and Development, wir brauchen erst recht ein neues „Mind Set“ – sowie ein neues, damit korrespondierendes Verhalten.

Was ich bedauerlicherweise nicht gefunden habe im Lauf der letzten paar Recherchejahre, ist ein zahlengestützter „Energy Plan for Germany“ (mal abgesehen von Hans-Hermann Scheers interessanter These, wir könnten sehr wohl vollständig  auf regenerative Energien umstellen, wobei sein Vortrag Der Energethische Imperativ allerdings wie die Mehrzahl der Veröffentlichungen zum Thema verflucht zahlenlos daherkommt). Legt man nun allerdings MacKays grundsätzliche Verbrauchszahlen auch für Deutschland zugrunde und berücksichtigt, dass wir im Gegensatz zu unseren britischen Freunden keine nennenswert lange Küste haben, die sich mit Gezeitenkraftwerken bestücken ließe, sowie nicht ausreichend Hoheitsgewässer zum Pflanzen von Hochleistungsspargeln, möchte man doch erst recht wissen, wie diese unsere eigenen Berechnungen aussehen oder aussehen könnten.

Falls also irgendwem der geheime Masterplan aus Norbert Röttgens Schreibtisch in die Hände fällt – bitte nicht nur an Wikileaks mailen, sondern „cc“ an mich.

P.S.: Ich weiß, es gehört sich nicht, Kritik zu kommentieren, erst recht, da man ja an allen Käfigen steht „Die Trolle bitte nicht füttern“, aber das muss ich doch klarstellen dürfen, unbekannter giftiger Leser:

„Zudem etliche naturwissenschaftliche Fehlleistungen des Autors: „Wer Vorhersagen über das Klima der Zukunft machen will, muß das Ende der letzten Eiszeit verstehen, sagt Beck.“ Was hat das Ende der letzten Eiszeit mit dem Klima der Zukunft zu tun ?
Weiß der Autor überhaupt, wie Klima physikalisch definiert wird?“

Dieser Autor? Vermutlich nicht. Aber wenn schon zitiert wird, dann bitte vollständig:

„Wer Vorhersagen über das Klima der Zukunft machen will, muß das Ende der letzten Eiszeit verstehen“, sagte Beck.
Sie nickte und sagte: „Wally Broecker.“
Beck nickte ebenfalls. Anerkennend, weil sie die Bemerkung als Zitat erkannt hatte.“

Und zwar als (zugegeben, berühmtes) Zitat des Thermohaline-Zirkulation-Papstes  Wallace Broecker. Vermutlich kann man auch dem unterstellen, er wüsste nicht, wie Klima physikalisch definiert wird, aber vermutlich nicht vom zirka hundert Meter hohen Sofakartoffelross.

Literatur:
David JC MacKay: Sustainable Energy – Without the Hot Air (Uit Cambridge, 384 S., ab ca. 35 Euro) oder online (free): http://www.withouthotair.com/download.html
Hans-Hermann Scheer: Der Energethische Imperativ 100% jetzt – wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist. (Kunstmann 2010, 224 S., 19.90 €)
Wallace Broecker / Robert Kunzig: Fixing Climate. The Story of Climate Science – and How to Stop Global Warming. Profile Books, 2009, 288 S., um 11 €)
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Spirit, unbezahlbar

30% teurer seit Herbst!? Himmelarsch! Auf den imperialen Krankenzimmerfluren kursiert drum die heitere Aufnahme unten, frei nach dem Motto:“Da hilft nur noch Galgenhumor, aber wenn das Zeug jetzt noch teurer wird als 50 Cent pro Liter, dann bricht hier echt alles zusammen!“

Man möchte sie doch glatt mal zum Tanken einladen, die Brüder.

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Bienenstich mit Kurswechsel

Douglas Couplands neuer Roman Generation A beginnt wie ein Öko-SciFi-Thriller (5 Leute werden an 5 Orten von den als ausgestorben geltenden Bienen gestochen), geht auch erstmal so weiter (die 5 werden sofort in Quarantäne gesteckt und in vollständig kargen Kammern, ohne jedes Buch oder Logo, wochenlang untersucht), verwandelt sich dann aber fast übergangslos (ab Mitte) in eine metaphysische Kurzgeschichtensammlung aus den Mündern der 5. Resp. einer Kurzgeschichtensammlung aus den Schränken Couplands.

Klingt sonderbar? Ist es auch. Es kostet nämlich Überwindung, diesen Verrat wegzustecken. Ein Autor, der einem eine wie auch immer geartete Zukunftsgesellschaft-und-Bienen-Parabel erzählen will und dann mittendrin das Genre wechselt? Seine Protagonisten in eine Hütte setzt, auf einer einsamen Insel, und ihnen fortan absolut nichts mehr zustoßen lässt – außer gegenseitigem Geschichtenerzählen?

Na ja. Andererseits … andernfalls wäre „Generation A“ ja bloß eine Sci-Fi-Story geworden, oder? Und Bücher zu schreiben, die es im Grunde schon dutzendfach gibt – welcher intelligente Autor wollte sich damit abgeben? Couplands Experiment jedenfalls gelingt, und das liegt nicht nur daran, dass seine Kurzgeschichten absolut lesenswert sind, sondern dass am Ende tatsächlich alles Sinn ergibt, nicht nur in Sachen Plot, sondern erst recht im Stockwerk drüber, in der Abteilung Metaphysik.

Lassen wir uns unsere Geschichten nicht wegnehmen, Facebooker. Ohne die sind wir nämlich tatsächlich austauschbare Multiple-Choice-Persönlichkeiten, bestehend nicht aus Fleisch und Blut, sondern bloß noch aus Eins und Null bis hinein ins Mark. Und damit hinterließen wir dann tatsächlich den Planeten öd und leer, lebendig zwar (vielleicht), aber endgültig tragisch unter unseren Möglichkeiten geblieben.

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Bösartiges Wesen

Bildschön formuliert, Frau Holofernes, die ganze Absage an Jung, von Matt, Diekmann und all die anderen gefährlichen Doofen. Anfrage und Antwort noch mal zum Nachlesen auf der Wir-sind-Helden-Seite, falls die Sonntagszeitung gerade aus war.

(Letztes-Album-Lieblingszeile bleibt aber, als leise beleidigte Beschwerde: „Meine Freundin war im Koma und ich krieg nur ein lausiges T-Shirt.“)

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Boom!

Jubilate! Die Finanzkrise hat den Rüstungssektor verfehlt, die Zahlen für 2009 sind prima – mit 8% Zuwachs auf 401 Milliarden Dollar bietet die Branche weiter absolut krisensichere Jobs.

Und, Hallo, Nordafrika, nicht vergessen, der „Disclaimer“ ist und bleibt: Wir haben damit nichts zu tun. Denn a) Wenn ihr Leim kauft und den dann zweckentfremdet, ist das ja auch nicht die Schuld vom Obi, und b) verdankt die deutsche Rüstungsindustrie ihr Volltreffergebnis vor allem den verkauften U-Booten – und die kommen ja wohl in der Wüste eher selten zum Einsatz.

Gut. Okay, stimmt. Da sind noch unsere Kleinwaffen für (Stand: 2007) 49 Millionen Euro. Und, ebenfalls richtig, 30 von diesen 49 Millionen wurden von uns in Ländern kassiert, die weder EU noch NATO angehören, nur, hey, ihr sollt die Dinger doch nicht benutzen!

Aber solange ihr nur aufeinander schießt und nicht auf unsere Yachten, Frachtschiffe oder Frontex-Soldaten, drücken wir gern haufenweise Augen zu.

Ob wir was? Einen Knall haben? Das war doch bloß der Korken!

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