Wäre ich nur Teil der Zielgruppe, also Leser, hätte ich um das Ding einen weiten Bogen gemacht, aber als Autor muss ich ja meine zukünftigen Vertriebswege und Gegner kennen, also eine der zwei Maschinen, die gerade den gesamten „Markt“ umzukrempeln im Begriff sind. Drum. Me my own guinea Pig: Rein mit dem Kindle, amazons „best-selling e-book“.
Ideal ist das Ding vermutlich für 300 Tage im Jahr Handgepäckhandels-reisende, die zwischen Singapur und San Francisco den letzten Larsson noch „mal eben“ brauchen, in Sekundenschnelle, und keine Lust auf die günstigere Taschenbuchausgabe haben … Moment. Nee. Das ergibt keinen Sinn. Die können doch rechnen … Also – für wen dann? (Denn offensichtlich verkauft sich der Kindle ja prima)?
Ich versteh´s nicht. Weiterhin. Den IPod und sogar das dickere IPad verstehe ich, denn fünfhundert Platten im Handgepäck, das überfordert konditionell. Und Musik höre ich mir ja bei Bedarf auch gern fünfmal an, drum ist der Verzicht auf das lästige Transportmedium Silberscheibe natürlich eine feine Idee. Aber Bücher ohne Papier?
Zugegeben, die Romanlektüre auf dem Kindle hat ein paar kleinere Vorteile. Die Typo lässt sich auf Knopfdruck vergrößern, die 500 Seiten kommen nicht so sperrig daher, man braucht keinen Daumen, um abends neben den Augen auch noch ein Buch aufzuhalten, und für den Fremdsprachler bringt das zuschaltbare Dictionary sogar noch Lerneffekte. Alles fein. Aber: Wir lesen doch anders. Wir peilen blätternd vor und zurück. Wie viele Seiten hat das Kapitel noch? Schaff ich das noch vor dem Einschlafen? Oder den ganzen Rest des Romans noch heute, am Sonntag, so, wie das Lesezeichen da oben rauskuckt? (Es soll sogar Menschen geben, die sich einzelne Stellen unterstreichen – und nicht möchten, dass diese Anstreichungen auch von jedem anderen Whispernet-User nachvollzogen werden können …)
Der Kindle verweigert einem aber noch etwas anderes, und das erscheint mir als altmodischem Menschen (der gerade dezent bekümmert drei Viertel seiner Bibliothek entsorgen musste) doch wesentlich: Es gibt Bücher, die man gern behält. Und sich ins Regal stellt, weil der Rücken einen so hübsch an den Genuss der Lektüre erinnert. Erst recht aber gibt man manche Bücher gern weiter, wenn man mit Freunden über Bücher spricht. Zieht den Band aus dem Regal, empfiehlt oder lässt sich etwas empfehlen, betrachtet das mehr oder weniger bunte Cover, kurz: die gute alte Haptik spielt hier eine nicht unwesentliche Rolle.
Wie soll ich das mit meinem Kindle machen?
Cover? Vier Graustufen. Klappentext? Na ja, möglicherweise. Anspringbar über die Menüleiste. Post-it-Marker reinkleben? Hey, es gibt virtuelle Eselsohren, aber die kucken nicht über den Rand …
Und auch wenn der Autor es ungern hört: Wie soll ich sein Buch weitergeben, nach dem Anpreisen? Ausleihen? Verschenken? (Gelächter vom Band).
Der Kindle ist – vermute ich – geeignet für Fachliteratur. Für die letzte Ausgabe von „Der Betrieb“, die man als Steuerfachwart gelesen haben muss und archivieren sollte, obwohl man vermutlich nie wieder reinkuckt. Als Vermittler der schönen Schreibkunst, der Belletristik, ist das Ding hingegen ungeeignet, und wer anderes behauptet, ist eine Maschine.
Aber natürlich steht zu befürchten, dass unsere völlig anders verdrahteten Urenkel zirka Mitte des Jahrtausends überhaupt nicht mehr begreifen, was ich meine (resp. meinte). Ich stelle mir trotzdem gerade vor, ich müsste (wie unlängst) Ruiz Zafons wunderbaresDer Schatten des Windes oder (wie jetzt) Franzens ebenfalls wunderbare Freiheitausgerechnet auf einem Kindle lesen, und entgehe dem internen Serverabsturz nur, indem ich vorsichtshalber aufhöre, darüber nachzudenken.