Nichts gegen Rezo. Außer Lob und Anerkennung. Denn trotz der Empfehlung Richtung Olivgrün war Die Zerstörung der CDU ein wunderbares und bemerkenswertes Stück, das meine Generation als Horde Vollpfosten entlarvt, die obendrein die blödesten aus ihrer Mitte (sic) in die Parlamente hievt und das dann für „repräsentative Demokratie“ hält. Weshalb also die mit mir geborenen stumpf und dauerhaft Groko wählenden Boomer demnächst ganz verdient eine saftige Rechnung serviert bekommen, habe ich in Die ganze Wahrheit über alles dargelegt, weshalb ich nicht mitbezahle ebenfalls: Ich schnauze die Flachpfeifen ja schon seit meinem 15ten Geburtstag mit unwiderstehlichen Argumenten an, geholfen hat es nichts, aber eine Mitschuld meinerseits erkenne ich nicht an, da mir der Weg in den bewaffneten Widerstand qua Kinderstube verstellt war. Ich hatte nur die besten Argumente und mein bescheidenes Talent, Dinge glasklar zu benennen, mehr leider nicht. (Das Bedauern ist ganz auf meiner Seite).
Rezo wird etwas bewegen. Das ist gut und macht Hoffnung. Da allerdings große Teile seiner Ü16-Fans und Neuentdecker nach eigenem Bekunden (in den Kommentaren) sich zum allerersten Mal überhaupt beschäftigen mit Politik und dem ganzen von Rezo geschilderten desaströsen Zuständen, ist die Gefahr nicht eben klein, dass die Angestupsten wegen ihrer erschütternden bisherigen Komplettverweigerung dem nächstbesten fiesen Rezo-Nachahmer auf den Leim gehen, der ihnen dann allerdings ebenso virtuos und mit ggf. orangener Tolle neoliberalen Schwachsinn clever verkauft – oder irgendwelche wirklich einfachen Scheinlösungen für unsere zusammenhängenden Probleme.
Deshalb diese Empfehlung zur entspannten Erstvertiefung der von Rezo zurecht benannten Problematik: Rutger Bregman. Den kann man hervorragend lesen, denn er beschreibt komplexe Dinge so unkompliziert, dass sogar 3er-Abiturienten sie sofort verstehen können. Oder könnten. Lesen ist ja nicht so beliebt. Lieber was gucken. Und das kann man im Fall Bregman auch, was ja vielleicht dem einen oder der anderen hilft, die Hürde zum unbewegten Gedruckten zu überspringen. Als Einstieg wähle man daher Bregmans Teilnahme am Hinterzimmer-Davos-Panel mit u. a. Jane Goodall und folge wenigstens bis zum Punkt, an dem Bregman konstatiert, er komme sich beim Wirtschaftsgipfeltreffen vor wie bei einer Feuerwehrmesse, bei der nicht über Wasser gesprochen wird. Also Steuern.
Bregmans Utopia for Realists – and how we get there ist ein kluges Buch. Eines, das sich von den artig herumnörgelnden Analysen linker Pensionäre oder Professoren im Staatsdienst unterscheidet, die keinerlei Lösungsansätze aufzeigen und nicht aufzeigen können, weil sie das Wasser gar nicht wahrnehmen, in dem sie schwimmen. Bregman hingegen ist so frei (sic), die Probleme bei der Wurzel zu benennen und spricht mir natürlich aus der Seele, wenn er konstatiert, dass wir eh nur labern, von Alternativmedialkanal bis Panel bis Parlament, wenn wir z. B. meinen, die Erderwärmung stoppen zu können, ohne vorher das BIP zur Hölle zu schicken. Oder meinen, soziale Gerechtigkeit herstellen zu können, indem wir mehr Bullshitjobs schaffen statt Verteilungsgerechtigkeit inklusive eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Doch, doch, das geht (falls hier jemand reflexartig den Kopf schüttelt: erst lesen, dann schütteln. Oder eben auch nicht schütteln.) Und ja, ja, Rutger weiß, dass diese Utopie, würde sie Realität, Unmengen Leute den Job kosten würde, neben denen, die sowieso demnächst rausfliegen, weil man zur Betrieb von Fabriken nur noch einen Menschen und einen Hund benötigt (den Menschen, um den Hund zu füttern, den Hund, um den Menschen davon abzuhalten, die Maschinen anzufassen). Bregmans „utopische“ Ideen (unterfüttert mit viel Wissenschaft) sind eben deshalb so wichtig, weil sie die falschen Prämissen bloßlegen, auf denen unser ganzes Fehlverhalten fußt, schlichter gesagt: Unseren kapitalen Fehleinschätzungen betreffend das Wesen des Menschen an sich und der Gestaltung der Regeln, nach denen diese Welt derzeit „läuft“. Beziehungsweise fährt, nämlich demnächst gegen eine feste Wand.
Also: Augen auf. Bregman hilft beim Fokussieren und beim Klarsehen, obendrein sehr charmant, und bleibt nicht beim Konstatieren stehen. Sondern zeigt auf, wie es gehen kann, nein: gehen muss. (Spoiler: Es ist wirklich überhaupt nicht kompliziert.)