Zugegeben, ich war kurz sauer auf Frau P. vom FA S., weil die mir eine Zweiwochenfrist zum Einspruch gegen ihre Ablehnung meines Widerspruchs (hahaha, herrlich) eingeräumt hatte – und dann zwei Wochen in den Urlaub gefahren war. Nachdem ich sie aber jetzt doch erreicht habe, bin ich versöhnt. Zwar ist mein Antrag endgültig von Frau P. abgelehnt worden (also die Anerkennung der privaten Beschulungskosten für meine jüngste Tochter als „außergewöhnliche Belastung“, wegen des vorangegangenen Mordversuchs, siehe unten: das ist keine außergewöhnliche Belastung). Aber Frau P. sieht das ja gar nicht so. Selbst. Sie hält die Belastung für absolut außergewöhnlich unerträglich und versteht auch, dass mich das ruiniert, aber das kann sie eben auch nicht ändern. Gibt ja keine Gesetzeslücke, die ihr das erlaubte.
Frau P. und ich konnten uns sehr schnell auf die Kurzfassung meinerseits einigen. „Der Gesetzgeber will also, dass gemobbte, hochbegabte, höchst wunderbare und originelle Kinder entweder sterben oder in einer geschlossenen landen und von ordentlich Personal mit Psychopharmaka gefüttert werden? Nur dann darf – in den Anstaltsräumen – privat unterrichtet und der finanzielle Aufwand für die Eltern als Belastung berücksichtigt werden?“
„Das ist richtig.“
Finde ich nicht. Aber gut. Oder auch nicht. Jedenfalls schön, dass wir mal drüber gesprochen haben.
Es zeigt sich ja zunehmend, dass der Gesetzgeber nicht irgendwas verbockt hat, sondern das alles sehr ernst meint. Die Kinder springen jüngst vermehrt von Balkonen oder bringen sich mit 11 eben einfach um. Selber Schuld, hätten ja auch statt dessen die Karriere als Zombies in Zwangsjacken wählen und sich nützlich machen können im Wachstumsmotor. Ich konnte das aber nicht zulassen, jedenfalls nicht bei meiner Tochter. Weil ich sie liebe. Mehr als mich selbst, falls das jemanden interessiert.
Ich konnte aber darüber auch nie schreiben. Weil ich Angst hatte. Vor diesem, jenem und noch was anderem. Da aber nun der Vorgang beerdigt ist, nicht meine Tochter (die sehr glücklich lebt), will ich die Eckdaten der Geschichte doch abschließend noch kurz nachreichen. Bei Interesse. Denn 2016/2017 schrieb ich mit selbst hinter die Ohren und eben nicht in dieses Blog (ich sag ja, Feigling):
Mann, bin ich manchmal doof. Ich kann nicht mal richtig lesen. Dabei steht´s doch über dem Eingang: Schulbehörde. Nicht Schülerbehörde. Aber um mich Dussel zu erleuchten, musste erst ein Mitarbeiter dieser Einrichtung meiner Gattin gegenüber explizit ausführen, seiner Behörde sei das Kindeswohl allenfalls zweitrangig, erstrangig sei die Einhaltung der Schul(gebäude)pflicht.
Jetztverstehe ich das alles. Doof. Ich hätte eben nichtEnde 2014 die Kriminalpolizei verständigen sollen, als meine Tochter in der ersten großen Pause um Haaresbreite diese Nähnadel verschluckt hätte, die ihr ein/e gymnasiale/r Mitschüler/in geschickt ins Pausen-Franzbrötchen drapiert hatte. Die Kripo befand zwar, ihre Ermittlungen aufnehmend, dies sei ein Fall von versuchter schwerer Körperverletzung, aber die Schule forderte uns umso dringender auf – davon niemandem zu erzählen. Weder den anderen Eltern noch den anderen Schülern noch der Presse. Wir sollten doch besser rasch, da man die körperliche Unversehrtheit des Anschlagopfers auch zukünftig nicht garantieren könne… die Schule wechseln.
Haben wir gemacht, schmerzhaft in jeder Hinsicht, persönlich wie finanziell. Also Schule und auch gleich die Nachbarschaft 50 Kilometer weiträumig gewechselt, weil ja der/die anonyme Täter/in bzw. dessen/deren Eltern sonst weiterhin gewusst hätte, wo wir wohnen. Leider hat das nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, denn die Alternative „Private Holzbastelschule auf dem Dorf, in Gründung“ war keine, da meine Tochter eben smart ist, ausgezeichnet zweisprachig liest und schreibt und obendrein ausgesprochen freundlich zu anderen Menschen. So viel inhaltliche wie soziale Kompetenz ließ sich leider mit den Wertvorstellungen und dem Wissensstand der neuen Mitschüler und Lehrer nicht in Einklang bringen – den neuerlichen brutalen Spießrutenlauf billigten die Verantwortlichen komplett entspannt, wir hingegen komplett gar nicht. Und fragten ob dieses Horrors beim Schüleramt an, was wir denn alternativ machen sollten oder könnten, nach dieser furchtbaren Vorgeschichte. Ah. Nee. Eben beim Schulamt, nicht „Schüleramt“, siehe oben.
Das war dumm. Und so blieb, den behördlich verfeinerten Alptraum ungeheuer abkürzend, nach Unmengen Gutachten (Behördenkommentar: „Les ich nicht, so was“), Unmengen Leid, Kummer, entgegenkommendem, geduldigem Wohlverhalten unsererseits und (kein Scherz) behördlichen Knastdrohungen gegen uns sowie unsere Tochter (!) stehen: Meine Frau und meine Tochter zogen im August 2016 nach Frankreich, zu Freunden. Ich blieb. Und zog hier um, notgedrungen – in eine kleine Obstscheune im Matsch (Marschland). Weil ich nun einmal meine beruflichen und finanzamtlichen Dinge hierzulande geordnet beenden musste, vor dem Versuch, in Frankreich oder sonstwo neu zu starten. (Die Auflösung einer GmbH dauert inzwischen mehr als 2 Jahre. Das ist schon wieder kein Scherz. Und das zusätzlich absurde „mehr als“ liegt daran, dass die Formulare für die KöSt-Erklärung abgeschafft worden sind, allerdings die elektronische Abmeldung noch gar nicht funktioniert).
Ich wusste aber schon damals, als unsere Familie vom Amt zu 2/3 ins kinderfreundliche Ausland gesprengt wurde, dass ich nicht mehr öffentlich zu klären versuchen würde, ob das denn wirklich so gemeint ist, wie´s praktiziert wird: Dass das Schulamt die Schulen schützt und nicht die Schüler, und dass nicht die Schule dem Wohl des Kindes dienen soll, sondern das Kind dem Wohl der Schule. Dass man uns damals endlich explizit erklärte, hatte ich zur Kenntnis genommen, zur deutschen Vorstellung von „Freiheit“ habe ich meines Wissens eh alles gesagt, was ich zu sagen habe. (Es findet sich unter dem Stichwort „Schulzwang“ im Rubikon und/oder auf diesem Blog, im Archiv). Dass neben unserem deutschen System weltweit nur eines die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ anstrebt, nämlich das nordkoreanische, bedarf sicher keiner zusätzlichen Ausschmückungen.
Und doch, am Rande bemerkt: Es war ungeheuer beglückend und erfrischend, damals in Frankreich mit Behördenvertretern zu tun zu haben, die Familie und Kindeswohl tatsächlich für wichtig halten, und nicht für zweit- oder drittrangig; und es war sogar schön zu hören, erst recht in dieser wohlklingenden Sprache, auf Französisch, dass man sich auf uns und unsere doppelt und dreifach als hochbegabt anerkannte Schutzbefohlene freute. Unter solchen Umständen nimmt man ja sogar den Ausnahmezustand in Kauf, Hauptsache, die Mitmenschen wissen, worauf es ankommt. Und das ist, nach meinem bescheidenen Dafürhalten, das Wohlergehen derer, denen die Zukunft gehört – unserer Kinder. Und, nein, ich wundere mich nicht, dass ich auch mit dieser humanistischen Ansicht mal wieder fast allein dastehe auf deutschem Flur, ich bin doch schon groß.
Bis hierher stand dieser Text lange in meinem Rechner herum. Unpubliziert. Weil ich schlicht und ergreifend Angst hatte. Nicht um mich, wohl aber um die Seele meiner Tochter. Die Frage eines größeren Mainstreammediums, ob man diese furchtbare Story bitte „machen“ dürfe, lehnte ich damals ab, denn 2016 hatten wir noch Hoffnung, doch irgendwann zurückkehren zu dürfen und unsere Tochter an einem hiesigen Gymnasium anmelden zu können. Diese Hoffnung hat sich inzwischen erledigt, ebenso wie die, die Beschulung der jungen Frau Böttcher durch die deutschsprachige Web-Individualschule werde von den Behörden anders betrachtet als die Anschaffung von Helikopterbenzin. Beides betrachtet der Gesetzgeber als Privatvergnügen.
So also endet diese Etappe unserer Reise, glücklich, erlöst, aber auch mit einem ganz dezentem Gefühl, in etwas Groteskem festzustecken: Nach 30 erfolgreichen Jahren und solidarischen Einkommensteuerzahlungen in Höhe von bestimmt bummelig 1 Million Euro wartet nun auf mich/uns ggf. die Pleite (nicht Privatinsolvenz, bin selbstständig) als MS-Kranker, ohne Anspruch auf irgendwas – denn die Million habe ich ja in die falsche Gemeinschaftskasse gezahlt und daher keinen Anspruch, nicht mal auf einen monatlichen Cent, aus der Gemeinschaftskasse. Ein Trost aber bleibt mir, und der ist gar nicht so klein, sondern schon fast erwachsen: Meine Tochter ist ein wunderbarer Mensch. Sie ist heil geblieben (oder wieder ganz heil geworden), sie denkt frei und überaus originell, und sie hat ihr schönes und großes Herz behalten (ebenso wie ihren schönen und großen Geist). Dass ich dazu meinen Beitrag leisten durfte, macht mich froh und glücklich.
Und in diesem Sinn will ich mich morgen wieder an den Schreibtisch setzen, über den gefrorenen Matsch Richtung Feldweg schauen und in meinen Taschen kramen, ob da nicht doch noch eine größere Dosis Lächeln hervorzuzaubern ist. Der Rest ist dann schlicht Schweigen. Und Warten auf die Kavallerie. (Obwohl … ach, nee, das sind ja auch Beamte, die reiten garantiert nur über mich weg. Dann warte ich doch lieber nur auf die Sonne.)
P.S.: Meine Tochter hat eine Klasse übersprungen, an der Web-Individualschule (Bochum), ihre Mittlere Reife mit klasse Zensuren abgelegt und ist (bereits länger) eine begnadete Künstlerin. Sowie eine wunderbare Menschin. Wir dürfen uns jetzt kurz in Deutschland aufhalten, da sie als jüngste Schülerin/Studentin an einer (privaten) Fachhochschule für Gestaltung angenommen worden ist. Wäre das nicht per Eignungstest gegen die zahlreiche Konkurrenz gelungen, hätte sie, wie das NS-Schulamt mir erklärte, nicht arbeiten dürfen (was sie gern täte, sie kann ja mit Ihren Illustrationen schon Geld verdienen). Jugendliche sollen in NS nicht arbeiten. Die Schulpflicht besteht in NS fort. Zwölf Jahre. Keine Ausnahmen. Wer das nicht will, geht in den Knast. Oder in die Klapse.
Hey, das wär ja wohl auch noch schöner, wenn hier irgendwelche begabten und eigensinnigen Jugendlichen frei rumlaufen würden! Nachher werden das noch begabte Erwachsene, die dann ihr Gehirn und ihr Herz einsetzen! Wehret den Anfängen! Und macht jeden Querdenker einen Kopf kürzer, sonst erfindet der nachher noch so was Gefährliches wie … das Feuer!
P.P.S.: Mein Lieblingsdetail will ich am Ende doch loswerden. Die behördlich bestellte NS-Psycho-Gutachterin hatte nämlich nach der begrüßenden Erklärung meiner Tochter, sie wolle doch gern weiter lernen und Abitur machen, den maßgeblichen Auftaktsatz im Repertoire: „Ach, vergiß es, in 5 Jahren ist hier sowieso Krieg, was willst du da mit Abitur?“
Ich fand das bemerkenswert. Und bestimmt kann man das befürchten. Aber ob ich das als zielführende Berufsberatung für eine (damals) 12jährige durchgehen lasse, weiß ich immer noch nicht.