Die BILD für Besserverdienende hat´s am letzten Montag wieder mal auf den kollektivpanischen Punkt gebracht, diesmal in Jörg Blechs Titelstory „Wenn Ärzte irren: Risiko Fehldiagnose“ – Wir müssen alle sterben! Auch Sie können schon morgen wegen eines ärztlichen Diagnosefehlers an einem einfachen Mückenstich verrecken! 300 Prozent der zugelassenen Ärzte sind autistische Mörder, der gesunde Menschenverstand hängt neben dem hippokratischen Eid an der Garderobe, niemand stellt mehr die garantiert immer fatalen Fehldiagnosen der Maschine in Frage, und Zuhören ist kein medizinisches Studienfach! Panik! Jetzt!
Ohne Frage, es geht allerhand schief im Gesundheitssystem, und wer sich je (wie yours truly) mit einer wirklich linken und lebensbedrohlichen Krankheit hat ausreichend kaputtdiagnostizieren, –MRT-schallen und -spritzen lassen, der wird Spiegel-Autor Blech recht geben, dass man Ärzten im Zweifel weiträumig aus dem Weg gehen sollte. Sein Panikartikel unterschlägt allerdings allerhand Wesentliches, vor allem das gesamte Sujet „Eigenverantwortung mit eingeschaltetem Gehirn“. Verständlich, verzeihlich, denn wer seine Ware qua Verbreitung von Angst an Mann und Frau bringen will, darf natürlich seine Botschaft nicht verwässern. Groß ist der Mensch in der Erkenntnis seiner eigenen Nichtigkeit (Pascal), groß der deutsche Mensch und Journalist im Zuweisen aller Schuld an andere (Godesberg, vermutlich): bevorzugt den „Staat“, den „Kapitalismus“ oder eben auch einzelne Kasten (derzeit nicht so „in“ sind Ethnien, außer bei SSarrazin (Tippfehler), in besserbürgerlichen Kreisen sind halt immer wieder mal Berufsgruppen dran. Milchbauern. Atomkraftbauern. Futtermittelhersteller. Oder eben Ärzte.)
Dennoch – und nur zur Erinnerung: Husten ist nicht meldepflichtig, und erst recht muss man sich nicht sofort unters Messer legen und die Schilddrüse oder die Prostata ersatzlos rausschneiden lassen, nur weil irgendein PSA-Groupie oder sonst wie bekloppter Maschinenverherrlicher im Kittel das für ne prima Idee hält. Es zwingt einen auch keiner, längerhaltbare weiße Wandfarbe zu trinken, 5 Kilo Mischhack für 1.99 € zu kaufen oder ungeborene Hühner zu essen. Oder wegen jedem Schnupfen zum Arzt zu rennen und sich mit Breitbandantibiotika zudröhnen zu lassen. Oder sich die Hüfte rausnehmen zu lassen, weil man von den jahrzehntelangen 60 Kilo Übergewicht durch ständiges Hormongammelfleisch-an-Fritten-Fressen irgendwie so´n klein bisschen humpelt.
Tatsächlich: Kadavergehorsam ist immer noch Wahlfach. Es besteht die Möglichkeit, sich … zu informieren. Sich schlau zu machen oder wenigstens schlauer. (Ohne Scheiß: es gibt da so´n obskures Medium, so´n „Web“, echt wahr). Es besteht sogar die Möglichkeit, sich nach dem Schlaumachen schlau zu verhalten, ob im Umgang mit Krankheiten oder an der Supermarktkasse.
„Aber doch nicht in der Praxis! Jedenfalls nicht in der Praxis! das sind doch Ärzte! Studierte! Weißgötter! Rotarier!“ Hej, Untertan! Guten Morgen, Schnarchnase, gesetzlich versicherte, die Du noch nie wenigstens mal eine Arztrechnung gesehen hast: Ärzte sind Menschen und haben per se keinen besseren oder schlechteren Charakter als Postboten, Automechaniker oder Schriftsteller. Richtig gute Ärzte sind selten, richtig gute Mechaniker auch, und wer sich nach der Diagnose „Das Schleifen anner Hinnerachse is normal“ mit 200 Sachen auf die linke Autobahnspur stürzt, ist ggf. ebenfalls selber schuld.
Dass unser „Gesundheitssystem“ (sic) sich wegen seiner eisern gepflegten Fehlhaltung oft mehr schadet als nützt, an dieser Diagnose Blechs ist zwar nicht zu rütteln; Symptom und Ursache sollten wir allerdings nicht verwechseln, denn die Wurzelentzündung beginnt mit Descartes, nicht mit Hippokrates.
Was Blech, das sei doch ausdrücklich zu seiner Ehrenrettung gesagt, ganz genau weiß – denn dies und die Eigenverantwortung des Patienten beschreibt er in seinen ausgezeichneten Büchern zum Thema oft genug klug und treffend. Nur ist eben für „klug“ und „treffend“ kein Platz in Titeln, die am Bahnhofskiosk allwöchentlich bunt um ums Überleben kreischen. Diagnose: Schreihals. Führt beim Betrachter zu: Augentinnitus. Der Patient sieht permanent Pfeifen.*
Schon wieder kein Grund, zum Arzt zu gehen.
* Mit kollegialem Diagnostikerdank an V. und J.