Zugegeben, ich bin schwer von Begriff. Drum habe ich erst jetzt, 10 Jahre danach, begriffen, wieso all diese Fachärzte recht haben, wenn sie MS kategorisch „unheilbar“ nennen. Was nicht bedeutet, dass MS unheilbar ist. Außer für einen Facharzt. Das Mißverständnis ist allerdings fundamental, und Neubetroffene sollten schlicht wissen, warum ihr Gegenüber sich derartig äußert, genauer: wissen, wer da spricht.
Merke: Patienten und Fachärzte verwenden den schlichten Begriff „Heilung“, ohne sich im Vorwege über eine gemeinsame Definition zu verständigen. Der Facharzt betrachtet Heilung – stillschweigend, aber kategorisch – als ausgeschlossen. Dieser Einschätzung liegt ein universal gültiges Gesetz zugrunde, das er als zweiten Hauptsatz der Thermodynamik kennt und das schlicht besagt, dass eine heruntergefallene Vase nicht wieder auf den Tisch hochfällt und in ihren heilen Ausgangszustand zurückkehrt. Allenfalls kann man sie kunstvoll kleben, aber das ist nicht „heil“ im Sinn von „exakt wie vorher“. Für den Facharzt ist daher nicht nur MS unheilbar, sondern jede Krankheit. Jedenfalls jede, für deren Behandlung man einen Facharzt aufsucht.
Zweitens ist der Facharzt kein Hausarzt. Selbst bei großzügiger Auslegung der „ärztlichen Kunst“ im Sinn von Hippokrates steht dem Facharzt die Option „auf die Selbstheilungskräfte des Patienten vertrauen“ gar nicht zur Verfügung. Denn er muss ja davon ausgehen, dass es „etwas Ernstes“ ist, mithin ein Patient, der ihn aufsucht, eben keinesfalls mehr auf Selbstheilung hoffen kann. Dies muss der Hausarzt ausgeschlossen haben, andernfalls hätte er nicht den Spezialisten hinzugezogen resp. den Patienten dorthin geschickt. Was bedeutet: Wer einen Facharzt aufsucht oder eine Klinik betritt, über dessen „Selbstheilungschance“ muss nicht mehr gesprochen werden. Denn das hat im Vorwege ausführlich geschehen zu sein.
Oder besser: hätte geschehen sein müssen. Gäbe es noch Hausärzte. Deren Fehlen in der Wirklichkeit nicht zu berücksichtigen – das allerdings könnte man dem Spezialisten vorwerfen. Man kann aber genauso gut schweigen, im beruhigten Wissen, dass des Fachmanns unausgesprochene Defintion von „unheilbar“ ganz schön spitzfindig ist. Und schräg. Und verheerend für jeden Patienten, der die Hintergründe und die Definition nicht kennt.
Wer´s weiß, empfindet das Urteil „unheilbar“ aber plötzlich als nicht mehr sonderlich beunruhigend. Denn wir wollen ja nicht „exakt wie vorher“ sein, sondern möglichst bloß wieder fast exakt so heil wie vor dem Gang zum Fachmann. Denn das wäre nach unserer Definition „geheilt“. Und auf diese Form der Heilung besteht jede begründete Aussicht (wie auch der Facharzt einräumen muss. Oder müsste, wenn er Zeit für irgendwelche sinnvollen Gespräche hätte.)
Guten Tag, Herr Böttcher,
diese Gedanken zu heilbar / unheilbar sollten auf ein Poster gedruckt werden.
Dort , wo Neurologen tätig sind, wäre für dieses Poster an einer Wand der beste Platz .
Ihre Patienten brauchen andere Botschaften, das „Prinzip Hoffnung “ (Bernie Siegel ).
Auch ich bin nicht „heil “ in diesem Sinne, aber “ heiler“, seitdem ich den Weg der Neurologie verlassen habe .
Monika