Als Neil Postman vor nun schon 30 Jahren in „Wir amüsieren uns zu Tode“ festhielt, auch Nachrichten seien inzwischen reine Unterhaltung, ließ sich das für´s gebildete deutsche Postman-Publikum wenigstens noch als ferne Warnung lesen, aber im Grunde, machen wir uns nix vor, war´s doch schon damals auch hierzulande so, dass 80% der Bevölkerung so blöd waren, dass man ihnen die Socken hätte verkaufen können, die sie gerade tragen.
Optimistischer gesagt: Es ist gar nicht viel schlimmer geworden. Es sind immer noch 20% einigermaßen smart und können sogar lesen und Gedanken formulieren, allerdings sind 2/3 dieser 20% sogar so smart, sich nicht mit Weltverbesserungsversuchen aufzuhalten. Die verbleibenden 5% der Gesamtbevölkerung schreiben kluge Dinge auf, die wiederum nur von den anderen paar Klugen gelesen werden – aus Jux und zur Unterhaltung, denn Folgen hat die Lektüre für niemand. Vulgo: „Stimmt, ich sollte keinen Thunfisch mehr essen, aber wieso sollte ich mit dem Verzicht anfangen, wenn 8 von 10 meiner Mitmenschen nicht mal wissen, wieso sie keinen Thunfisch essen sollten. Ergo: Esse ich weiter Thunfisch.“ Oder entlastender für alle, mit Exxon-CEO Rex Tillerson legendär gefragt: „What good is it to save the planet if humanity suffers?”
So ist also auch die Lektüre der wichtigen Sachbücher inzwischen: reine Unterhaltung. Nicht für die 80%, die per Wahlkreuz entscheiden, was „wir“ alle so demokratisch machen und treiben – denn diese 80% lesen ja eh keine Bücher, haben keinen Dunst von nichts und verstehen unter Demokratie eine informierte Telefonabstimmung über die nächste „Voice of Germany.“ Der kluge Rest liest kluge Schriften, nickt nachdenklich vor sich hin und verfährt am nächsten Tag wie bisher. Daran ist, sicherheitshalber gesagt, nicht das Geringste auszusetzen. Und schon gar nichts ist daran auszusetzen, dass die smarten 20% entschlossener und stillschweigender denn je ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen versuchen, statt sich von den dumpfen 80% für´s Überbringen schlechter Nachrichten öffentlich dissen zu lassen.
Drum – statt Dumpfbacken-Entertainment vom Schlage Dschungelcamp, Voice of Germany oder heute-Journal: Wirklich gute Unterhaltung bieten
Gerd Gigerenzer: Risiko (C. Bertelsmann, 19.99 €)
… weil Gigerenzer nach leicht holprigem Beginn tatsächlich ungeheuer viel Relevantes zu sagen hat und seinem geneigten Leser die dringend erforderliche „Risikokompetenz“ effektiv beibringt. So ist „Risiko“ weniger ein Sachbuch als im besten Sinn ein Selbsthilfebuch für den alltäglichen Gebrauch.
Ulrike Herrmann: Der Sieg des Kapitals (Westend, 19.99 €)
… weil Herrmann – obwohl pro forma aus der linken Ringecke antretend – die Kirche zurück ins Dorf stellt, Kapital und Kapitalisten sauber trennt und uns selbst, jedem Einzelnen, die Rolle neu zuweist, die uns gebührt: Die des/der Schuldigen. Nach der Lektüre sind wir schlauer, und der Rotwein schmeckt uns trotzdem kein bißchen schlechter.
Maude Barlow: Blaue Zukunft (kunstmann, 22.95).
… weil Wasser Leben ist, mithin Leben demnächst „aus“ für die meisten. Und weil Maude Barlow eine wunderbar hartnäckige Weltverbesserin ist.
Valentin Thun & Stefan Kreuzberger: Harte Kost (Ludwig, 16.99 €)
… weil wir danach ganz genau wissen, was wir jetzt noch schnell den 80% wegessen müssen, solange es überhaupt noch was Vernünftiges gibt.
Friedrich Schmidt-Bleeck: Grüne Lügen (Ludwig, 19.99 €)
… weil´s in Zeiten der Mobilmachungsaufforderungen von Göring (-Eckart) wichtig ist, die verheerenden Folgen von „Grün als Tarnfarbe“ richtig zu erkennen.
Joachim Mutter: Lass dich nicht vergiften (Gräfe & Unzer, 19.99 €)
… weil niemand besser als Mutter weiß und prägnanter zusammenfasst, wie wir schwere und chronische Erkrankungen eigenverantwortlich vermeiden können.
Sowie, abermals dringend empfohlen (und nur deshalb erneut, weil die deutsche Ausgabe nun endlich erschienen ist)
Peter Goetzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität (Riva, 24.99 €)
… weil Goetzsche ein sagenhaft kluger und präziser Denker ist und erschütternd belegt, wie „Big Pharma“ wirklich funktioniert. Dass er noch lebt, verdankt er im Zweifel nur a) seiner Bekanntheit und b) dem Umstand, dass alles, was er schreibt, den alles entscheidenden 80% sowieso völlig egal ist, die Pharmaindustrie sich also absolut keine Sorgen machen muss, dass Goetzsche mit seiner berechtigten Forderung durchdringt, man solle diese gesamte schwerkriminelle Branche weltweit ächten und verbieten. Aber intelligente Unterhaltung bietet das Buch allemal (und ersetzt in Sachen Thrill mühelos sogar gelungenste Nervenkitzel-Psycho-Fiktionen wie Gone Girl.)
Postman? Ist schon lange tot. Aber seine Zeilen sprechen ja weiterhin taufrisch für sich (und werden dankenswerterweise vom Fischer Verlag bis heute immer wieder frisch aufgelegt – und der tödlich amüsante Bestseller von einst ist noch immer die beste Einstiegsdroge …)