Die von mir im frischen Rubikon angestoßene Debatte über den deutschen Schulzwang hat nach reichlich Facebook-Kommentaren die Redaktion veranlasst, gleich zwei Erwiderungen zu veröffentlichen, die sich für den Erhalt der hierzulande praktizierten „Schulpflicht“ stark machen, nachzulesen hier und hier. Meine Erwiderung darauf findet im Rubikon aus absolut nachvollziehbaren Gründen keinen Platz, aber hier durchaus.
Hurra, hurra, die Schulpflicht brennt! (4)
Die einleitenden Worte meines ursprünglichen Textes waren nicht zufällig gewählt: „Anders als die meisten anderen Bewohner der zivilisierten Welt kennt die Mehrzahl der Deutschen nicht den Unterschied zwischen Bildungspflicht und Schulpflicht„: dies war als höflicher Hinweis zu verstehen, sich vor dem Einstieg in die Debatte darüber klar zu werden, worüber eigentlich debattiert werden soll. Ebenso eindeutig stand (meines Erachtens) eine glasklare Frage im Raum, gestellt an die Befürworter und Verteidiger der deutschen „Schulpflicht“ (= „Staatsschulgebäudeanwesenheitspflicht“) und diese Frage lautet: „Halten Sie es für zulässig, mich zu zwingen?“
Meine Antwort darauf lautet grundsätzlich „Nein“, denn Zwang ist Gewalt. Die Antwort der Mehrheit, im Rubikon vertreten von Magda von Garrel wie von Wolf Wetzel (siehe Links oben), lautet grundsätzlich „Ja“.
Das ist selbstverständlich eine zulässige Position. Und auch wer grundsätzlich gegen Zwang ist, wird diesen im Ausnahmefall gutheißen, denn Freiheit findet immer dort ihre Grenze, wo die Freiheit anderer berührt oder eingeschränkt wird. Ich halte daher beispielsweise den Volljährigkeit voraussetzenden Zwang zur Ablegung einer Führerscheinprüfung für zulässig, weil ich nicht von einem sechsjährigen Ferrari-Piloten überfahren werden möchte.
Die Bildungsfreiheit aber schränkt nicht die Freiheit anderer ein. Der Schulzwang, mehrheitlich begrüßt, hingegen sehr wohl. So ist unsere grundsätzliche Meinungsverschiedenheit in diesem alles entscheidenden Punkt eindeutig festzuhalten. Denn wir debattieren fürderhin respektvoll im Wissen, dass unsere Positionen betreffend den Schulzwang grundsätzlich unvereinbar sind. Humboldt forderte, der Staat solle „sich aus Familie und Ehe heraushalten und diese Bereiche der ‚freien Willkür der Individuen und der von ihnen errichteten mannigfachen Verträge gänzlich überlassen’“. Wetzel schreibt: „Ganz ehrlich gesagt: Genau „diese freie Willkür der Individuen“ will ich nicht.“ Und „Ich möchte diesen Familien (auch den guten) nicht diese Macht geben.“
Das ist erfrischend ehrlich und sorgt für Klarheit. Und Wolf Wetzel weiß hierbei von ganz links bis ganz rechts sicher 80% der Bevölkerung sowie 98% ihrer gewählten Vertreter hinter sich – die Abschaffung der Schulpflicht ist politisch schlicht kein Thema. Denn dass man das Individuum zwingen darf, darin besteht Konsens. Uneins ist man sich nur, zu was genau man zwingen darf, also was in den staatlichen Zwangsanstalten per Lehrplan indoktriniert werden soll. Magda von Garrel bringt diese Position präzis auf den Punkt: „Anders ausgedrückt: Selbst eine aus einem totalitären Geist heraus geborene Schulpflicht kann in einer sehr demokratischen und auf das Wohl der Kinder bedachten Weise praktiziert werden.“ (…)„Ich persönlich plädiere aus den zuvor genannten Gründen sowohl für eine Beibehaltung der“ (bestehenden deutschen) „Schulpflicht als auch für eine Beibehaltung des öffentlichen Schulwesens.“
Wir halten also fest: Wir sind nicht nur uneins, wie Schule und Bildung im Detail organsiert werden und ablaufen sollen. Wir sind diametral unterschiedlicher Ansicht hinsichtlich Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums. Hier, in diesem alles entscheidenden Punkt (und zwar nicht nur in Sachen „Schule“) gehen unsere Meinungen als Freunde auseinander, im 180-Grad-Winkel. Und mögen wir im weiteren Verlauf der Gespräche auch manchmal oder oft einer Meinung sein: Grundsätzlich ist diese Meinungsverschiedenheit unüberbrückbar. Dies festzuhalten, ist überaus wichtig, um nicht aneinander vorbeizureden – vor allem ist dies wichtig für Eltern, die meinen, sie forderten mit der Abschaffung des deutschen Staatsschulgebäudeanwesenheitszwanges etwas Selbstverständliches, die Gewährung eines Menschenrechtes. Das ist nicht der Fall. Die Befürworter des Schulzwanges müssen nicht etwa über einen „Irrtum“ ihrerseits aufgeklärt werden. Sie wissen ganz genau, wovon sie reden, was sie meinen – und weshalb sie den Schulzwang beibehalten wollen.
„Du liebst mich nicht! Du schenkst mir ja nicht mal ein Auto!“
Begriffliche Unschärfen führen allerorten schnell ins Neblige, nicht nur in der Liebe. So stellten viele Facebook-Kommentierende richtig, die „Schulpflicht“ sei beileibe keine Nazi-Erfindung, sondern bereits 1919 eingeführt worden (richtiger ist: sie bestand sogar schon lange vorher), und die „Schulpflicht“ sei heute ganz generell ohnehin weltweit verbreitet. Das ist nicht ganz falsch. Aber auch nicht richtig, denn wenn zwei „Schulpflicht“ sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe.
Richtig ist, dass eine Schulpflicht in Deutschland nicht erst seit 1938 besteht. Allerdings kannte Deutschland bis 1938 kein Verbot des Privat- oder Hausunterrichtes, schon gar nicht den strafbewehrten Schulzwang. Der Klarheit halber wollen wir also beim deutschen Sonderweg nicht von „Schulpflicht“ sprechen, sondern korrekterweise vom Schulzwang. Was andernorts Schulpflicht heißt, wird indes dennoch weltweit unterschiedlich interpretiert, meint aber im humanistischen Kern eine Verpflichtung der Eltern, ihre Kinder zu beschulen oder beschulen zu lassen (nicht zwingend vom Staat). Hiermit unterscheidet sie sich grundsätzlich vom nordkoreanischen und deutschen Schulzwang, also der von Eltern durchzusetzenden Kinderpflicht zur Anwesenheit in staatlich kontrollierten Lehranstalten. Wir wollen also das Kind oder die ursprüngliche Forderung präzis beim Namen nennen. Es soll beileibe nicht die Pflicht der Eltern entfallen, ihre Kinder zu beschulen oder beschulen zu lassen – wohl aber soll verschwinden der deutsche „strafbewehrte Staatsschulgebäudeanwesenheitszwang“.
Wolf Wetzel und Magda von Garrel vermischen diesen Schulzwang mit diversen unterschiedlichen Interpretationen der Schulpflicht, der Unterrichtspflicht sowie dem Recht auf Bildung und vermengen obendrein „Der Zwang muss weg“ mit „Die Schulen müssen weg“. Das ist höchst problematisch, weil es die Intention des Urtextes komplett unkenntlich macht und sodann im schnellen Dreisatz dem Autor unterstellt, er wolle „die Schulen“ abschaffen, zudem erinnerten seine Ideen an „neoliberale Diskussionsmuster (…), mit deren Hilfe der Ausbau öffentlich finanzierter Privatschulen forciert werden soll.“ (Magda von Garrel)
Diese pseudokausale Kette ist vollständig unseriös, denn weder hat der Autor gefordert, Elternpflichten abschaffen noch Privatschulen mit öffentlichen Mitteln zu bauen. Das öffentliche Schulsystem soll dringend bestehen bleiben. Parallel entstehende freie oder private Schulen werden nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert (der Autor hat dies nie insinuiert). Jedes Kind, gleich welchen „Standes“ hat ein Recht auf Bildung. Wir, als Gemeinschaft, stellen sicher, dass jedes Kind diesen Zugang erhält. Wetzel schreibt: „Es hat viele Kämpfe gekostet, dass Bildung/Schule ein Recht wurden, das vor allem jene in Anspruch nehmen, die sich das ansonsten nicht leisten konnten. Ein Recht, das weder von der Familie, noch vom Einkommen abhängig ist.“
Richtig. Das ist vollkommen unstrittig. Und soll so es bleiben: das Recht auf Bildung, unabhängig von Stand oder Einkommen. Aber als Argument gegen die Abschaffung des Schulzwanges taugt die Feststellung nicht im Geringsten, sondern ist lediglich irreführend. Denn was, um Himmels willen, hat das Recht auf Bildung mit der strafbewehrten deutschen Schulgebäudeanwesenheitspflicht zu tun? Es ergibt sich doch nicht aus dem von uns jahrhundertlang erkämpften Recht, sich scheiden zu lassen, die Pflicht, sich scheiden zu lassen. Aus dem Recht auf Kornrausch nicht die Pflicht zum Kornrausch, schon gar nicht der Zwang zum Rausch mittels Korn aus Staatsfabriken. Rhetorisch aber ist das Mittel bewährt: mittels einer Binsenweisheit, die jedermann teilt und beklatscht, unterstellt man dem, der einen Pflicht oder einen Zwang infrage stellt, er wolle ein Recht abschaffen.
Zuletzt: Der Staat fürchtet ganz zurecht „Kontrollverlust“, wenn seine Bürger frei denken und selbstbestimmt handeln. Der Preis der vollständigen Kontrolle ist allerdings hoch, und wie wir in den Vergleichsländern Kuba und Nordkorea sehen, hilft am Ende nur noch ein Ausreiseverbot, will man die „Andersdenkenden“ oder „Ungleichen“ im Land halten. Hier wird von den Autoren der Erwiderungen „Freiheitsliebe“ gleichgesetzt mit dem Wunsch nach „Zweiklassengesellschaft“ einer „Feudalherrschaft“ oder „neoliberalen Verhältnissen“. Diese Assoziationen sind irreführend und verfälschen die erklärte Intention des Ursprungstextes, in dem der Fortbestand der Bildungspflicht (und der damit zusammenhängenden Rechte) ausdrücklich einleitend genannt sind. Abermals: Das Recht auf Bildung und Beschulung bleibt bestehen. Wir sorgen als Gemeinschaft dafür, dass jedes Kind Bildung und Beschulung erfährt. Wir werden unsere öffentlichen Schulen besser machen denn je. Dennoch bleibt die Forderung bestehen: Kein verantwortungsvoller und kompetenter Humanist wird zukünftig mehr unter Androhung von Beugehaft und Kindesentzug in Richtung Psychiatrie gezwungen, sein Kind, das wichtigste, was es in seinem Leben gibt, in eine seelen- und lebenszerstörende Staatsanstalt zu schicken, sofern er selbst den Zugang zu Bildung für seine(n) Schutzbefohlene(n) besser herstellen kann.
Aber entspannen wir uns. Denn dem Autor ist bewusst, dass diese Forderung auf taube Ohren trifft und weiter treffen wird. Zwar lautet Artikel 6 unseres Grundgesetzes „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, aber das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1986 (BvR 794/86) klargestellt: „Die allgemeines Schulpflicht und die sich daraus ergebenden weiteren Pflichten beschränken in zulässiger Weise das in Art. 6 II 1 GG gewährleistete elterliche Bestimmungsrecht über die Erziehung des Kindes.“
Wolf Wetzel und Magda von Garrel haben also Recht. Die Ansicht des Autors ist fraglos nicht mehrheitsfähig, und dies sollte den Verteidigern der deutschen Schulgebäudeanwesenheitspflicht ruhige Nächte bescheren. Die Alpträume behalten wir, als Splittergruppe, als Minderheit, als freie und selbstbestimmt denkende Eltern. Und hier, endlich, sind wir uns einig mit unseren Gegnern: Hier geht es um alles. Um unsere Kinder, um deren Freiheit, und um unser aller Zukunft.
Wir wollen allerdings ganz unterschiedliche Dinge. Siehe oben, zur Freiheit und zur Antwort auf die Frage: „Halten Sie es für zulässig, mich zu zwingen?“
Denn das, und nur das, war – und ist – hier die Frage.
Nachsatz: Ich gestehe, dass ich das Herstellen von „Kontaktschuld“ generell als heikel empfinde. Magda von Garrel schreibt gleich unter 1) ihres Plädoyers für das Beibehalten der bestehenden deutschen „Schulpflicht“: „Nach meinen persönlichen Erfahrungen gibt es erstaunlich viele „spinnerte“ Eltern, die mystischen und/oder religiösen Wahnvorstellungen anhängen. Viele dieser Eltern (womit ich nicht Sven Böttcher meine!) kämpfen schon jetzt für ein „home schooling“, damit sie ihre Kinder ohne jeden „schädlichen Einfluss von außen“ permanent in ihrem Sinne indoktrinieren können.
Die Klammer („womit ich nicht Sven Böttcher meine!“) verhindert nicht, sondern verstärkt die Verbindung zwischen den „spinnerten“ mit ihren „Wahnvorstellungen“ „indoktrinieren“ und dem Autor. Daher sei abermals richtiggestellt, dass die Forderung nach Abschaffung der „Staatsschulgebäudeanwesenheitspflicht“ denkbar weit entfernt ist von einem Plädoyer für „mystisch-spinnertes, Wahnvorstellungen indoktrinierendes Home-Schooling“. Sondern für die Freiheit und Selbstbestimmungsrecht Nichtwahnsinniger plädiert, denen Glück, körperliche wie seelische Unversehrtheit sowie (Herzens)Bildung ihrer Kinder am Herzen liegen.
(Aber was die „spinnerten“ betrifft – hier hilft die Kunst, die´s auf die Spitze übertreibt und so die Frage unterhaltend aufwirft, wem eigentlich Platz 1 in den Spinner-Charts gebührt.)
Hallo Herr Böttcher,
danke für Ihre klaren Worte, von denen ich jedes unterschreiben würde und ich selber es nicht so treffend hätte ausdrücken können.
MfG
Super! 🙂
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich bin mir nicht so sicher, ob sich alle Leute darüber im Klaren sind, was der deutsche Schulzwang genau bedeutet. Viele scheinen nur zu denken: Mit Schulpflicht gehen alle in die Schule und werden schlau. Ganz analog zu: Wenn wir Drogen verbieten, gibt es keine Drogen mehr und keiner wird mehr von Drogen krank.
So einfach ist das mit dem Verbieten und Zwingen aber nicht. Schulzwang bedeutet vielmehr: Was machen wir mit denjenigen, die trotz Drohung nicht in die Schule gehen? Da ist dem Staat bisher nur eingefallen: Bußgeld, Zwangsgeld, Psychatrie, Knast, Kinder wegnehmen. Und da muss man sich doch fragen, ob das sinnvolle Antworten auf Schulnichtbesuch sind.
Wenn man die Urteile der Gerichte liest, wird es noch absurder: Wenn jemand nachweist, dass er zu Hause besser lernt als in der Schule, die besseren Privatlehrer hat, mit 15 schon das Abitur ablegen könnte, alles egal. Erstens darf man mit 15 noch kein Abitur ablegen, zweitens werden Kind oder Eltern mit hohen Bußgeldern belegt. Wenn jemand hingegen in der Schule stets anwesend und geistig stets abwesend ist, seine Mitschüler mobbt, Hausaufgaben minimalistisch abhandelt und anschließend durch alle Prüfungen rasselt, hat er seine Schulpflicht vollständig erfüllt. Kein Schulamt und kein Gericht würde da eingreifen. Das ist kein Versehen. Gerichte schreiben in ihre Urteile, dass es in der Schule gar nicht so sehr, d.h. also eigentlich überhaupt nicht, auf Wissensvermittlung ankommt, sondern vor allem auf die sogenannte Sozialisation. Damit gemeint sein kann eigentlich nur der Drill, denn Freunde kann man auch anderswo kennenlernen.
Wenn man es also im Detail abklopft, stellt man erstaunt fest: Lehrplan, Notendruck, Vergleichsarbeiten, Abschlusszertifikate, didaktische Ausbildung der Lehrer – alles Fassade, alles Ablenkung. Es kommt allein auf den Drill an. Dafür braucht es den Schulzwang. Lernen würden die Kinder auch alleine.
Selten eine so gute Fortführung einer Diskussion mit nachvollziehbaren Argumenten gelesen. Zumal der zentrale Punkt so gegensätzlich ist, das eine Kompromissfindung kaum zu erwarten ist. Teil 1 bis 4 waren sehr spannend! Danke.
Überzeugt hat mich – mit meiner Vorbelastung – wie immer, die Aufhebung des Zwangs. Da wo er die Freiheit der anderen nicht einschränkt.
Interessant, dass die beiden totalitär veranlagten Diskutanten in dieser Diskussionsreihe sich hier nicht mal mehr irgendwie dazu geäußert haben. Wenn das Licht zu hell ist, lassen sich keine komischen Käuze und Fledermäuse mehr blicken; sie jagen im Dunkeln, wo s i e die K o n t r o l l e haben.
Hallo Herr Böttcher,
mir fällt auf, dass Sie und viele andere, die die Abschaffung des Schulzwangs befürworten immer dann, wenn auf das Grundgesetz verwiesen wird, den Artikel 6 anführen. Darum geht es aber nicht. Es geht um Artikel 1. Es soll nicht der Zwang abgeschafft werden, dass die Eltern ihre Kinder in die Schule schicken müssen. Sondern der unmittelbare Zwang, der auf junge Menschen (Kinder) ausgeübt wird, gehört abgeschafft.
Vermutlich gehört dazu ein allgemeine Änderung der Einstellung zu Kindern überhaupt. Kinder sind in allen Dingen wie die in Artikel 1 GG angesprochenen „Menschen“ zu behandeln. Sie haben a priori die gleiche Menschenwürde und brauchen nicht in irgendeiner Weise dazu „erzogen“ werden, dass sie nach und nach erst Grundrechte wahrnehmen dürfen.
1) Sie haben völlig Recht. 2) Das sind 2 gefährliche Fässer zum Preis von einem. Der Staatsschulgebäudeanwesenheitszwang kollidiert mit dem „Elternrecht“ das Art. 6, wir Zwangsgegner argumentieren also zunächst einmal „nur“ für verbriefte Erwachsenenrechte. Damit sollte die Kasernenpflicht vom Tisch sein, und danach ließe sich wunderbar mit Art. 1 darüber entscheiden, ob Kinder von Anfang an alle Menschenrechte besitzen (Vorsicht, Ihr Zweijähriger könnte sie dann wegen Zwangsfütterung mit Karottenbrei anzeigen).
Bitte aber zusätzlich „einen im Sinn“ behalten: Der deutsche Staat stellt sich nicht nur über 1) die Freiheit der Eltern und 2) die der Kinder. Der Staat betrachtet sich selbst als über und vor allem stehend, sogar vor dem Leben an sich – daher enden Selbstbestimmung und Würde schon bei der Hoheit des Deutschen über das eigene Leben, auch über das Ende desselben hat der Einzelne nicht zu entscheiden. Ihr berechtigter Hinweis führt also bei näherem Hinsehen tief in die deutsche Gemütsverfassung: Wir wollen, um Himmels willen, nicht frei sein. Wo kämen wir denn da hin?
Meines Wissens gingen Gerichtsverfahren bis hin zum Verfassungsgericht bisher immer um Art. 6 GG und immer schlecht aus. Wenn sich mal jemand (das Kind als Kläger?) auf Artikel 1 berufen würde, müsste das Verfassungsgericht, wenn es dann auch ablehnt, dem King gleichzeitig das „Mensch-Sein“ absprechen. War meine Überlegung. Als juristischer Laie.
Lieber Sven Böttcher,
schade, dass ich erst jetzt auf Ihren wundervollen Artikel im Rubikon nebst anschließender Diskussion und Ihrem abschließenden Blogbeitrag gestoßen bin.
Ich hoffe immer noch darauf, dass sich freie Bildung eines Tages als Konzept für alle Kinder verwirklichen lässt – und wenn es zunächst nur in einer ‚impffreien‘ Exklave wie Schleswig-Holstein oder im Saarland möglich wird, bin ich gern bereit, dort hinzuziehen. 😉