Wir Nachdenklichen und ggf. etwas reicher mit Verstand Beschenkten fragen uns ja gelegentlich, wieso die Doofen eigentlich nicht mitmachen – weder im Supermarkt noch beim medialen Konsum. Schließlich geht es ja auch und gerade um deren Existenz, von Klima bis Totalüberwachung, von AI bis Feldzug gegen Russland. Rainer Mausfeld hat dieses Schweigen der Lämmer in seinem gleichnamigen Buch schön erklärt, die Leute sind halt … betäubt, manipuliert, wohnhaft in ihren Smartphones, leben nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ etc. pp., nur scheint mir bei all dem doch ein wesentlicher Gedanke zu fehlen.
Vordergründig könnte man ja davon ausgehen, dass „die Leute“ halt wissen oder denken: Es hat ja eh keinen Sinn, der Einzelne kann nichts ändern. Dazu möchte man dann gern dem Einzelnen sagen, „Hey, wenn WIR alle das wollen, dann ändert sich alles, also wirf hier mal nicht so schnell die Flinte ins Korn.“
Flinte ist aber das richtige Symbol. Denn man stelle sich nur vor, wir alle wollten tatsächlich etwas ändern. Wir würden plötzlich begreifen, dass wir im Paradies leben, dass wir uns eine neue Geschichte von uns selbst erzählen können. Dass wir alles haben können (kein Scherz): Bedingungslose Grundeinkommen, Krankenhäuser gratis, Strom gratis (die Industrie verbraucht 70%, den Menschenbedarf erzeugen wir bereits nachhaltig), usw. usf. (hierzu sei Rutger Bregmans feines Buch empfohlen „Utopia for Realists.“
Wir würden dann also erklären: Wir sind jetzt friedfertig. Wir schränken uns ein bisschen ein (gar nicht so sehr), lassen unsere Maschinen die Arbeit machen (und besteuern nicht mehr Arbeit, sondern Produktivität, erheben Transaktionssteuern, steigen aus der NATO aus, machen unsere Kohlekraftwerke dicht, filmen und den ganzen Tag gegenseitig und stellen die Filme bei youtube ein, verstaatlichen ein paar Dinge und entlassen trotzdem die Hälfte unserer Bullshit-Jobber in den Ämtern, schaffen Zwänge ab und gestatten uns echte Freiheit …
Das Problem ist doch, dass dieses Utopia kein unerreichbarer Unsinn ist. Das Problem ist, dass es herstellbar wäre. Wallerstein hat prägnant beschrieben, was wir auf dem Weg in dieses absolut erreichbare Paradies tun müss(t)en. Aber selbst wenn es „uns“ gelänge, die 20% Klugen im gemeinsamen Interesse einzuspannen, würde doch unser derzeitiges Rom nicht sagen „Super, macht, endlich mal hat jemand eine gute Idee“, kürzer gesagt, weil ich hier ganz Wallersteins Meinung bin: Es würde eine Menge Opfer geben. Nicht Opfer im Sinne von „ok, ich ess jetzt vegan und spende mehr Geld“, sondern Opfer im tatsächlichen Sinn. Wir würden zu Hunderttausenden hingerichtet werden.
Kann man machen. Sicher finden wir sogar welche, die sich zuerst erschießen lassen für die Zukunft unserer Kinder (meine Bewerbung ist ja längst abgegeben), aber … finden wir wirklich genug? Nicht „genug“ kluge Pensionäre mit Professorentiteln, die in alternativmedialen Talkshows klug reden, sondern Leute, die den Kopf tatsächlich hinhalten?
Nie im Leben.
Deshalb sind die Dummen klug. Was „wir“ ihnen versprechen, ist ein schrecklicher, tödlicher Kampf für eine bessere Welt (in der sie allerdings keine Bullshitjobs mehr haben und auch nicht dauernd neue Autos oder dauernd All-Inclusive-Urlaub). Was „wir“ da im Angebot haben, ist mithin … so vollständig unattraktiv, dass jeder halbwegs rational denkende Normalbegabte nur sagen kann, „Ok, ich guck mal lieber weiter Tagesschau, kauf mir ein paar Amazon-Aktien und buche noch mal einen schönen Urlaub.“
Will sagen: Ich finde es ein bisschen fies, wenn „wir“ diese Leute dissen, diese 80%, die nicht aus dem Quark kommen, die nicht mal ins Denken zu kommen scheinen, geschweige denn ins Handeln. Auch wenn es uns schwer oder unmöglich fällt, das einzusehen: Dahinter steckt nicht Blödheit, sondern Vernunft.
Was uns fehlt? Nicht viel. Alles. Nämlich eine Story, die jedermannfrau ins Herz spricht und vermittelt, wofür es sich zu leben und vor allem wofür es sich zu sterben lohnt. Solche Stories hatten wir früher, in verschiedenen Formen: Die Religionen boten diesen über das eigene Leben hinausweisenden sterbenswerten Rahmen mit ihren Konzepten von Himmel und Hölle, aber auch Nationalismus, Kommunismus, Faschismus, waren diesbezüglich klar, in ihrer ganzen dementen Schlichtheit: Es braucht Ideale, für die man zu leben und notfalls zu sterben bereit ist. Diese Ideale waren immer Konstruktionen, erdacht, um die Zukunft tragfähig zu machen – mal besser (Bergpredigt), mal wesentlich schlechter (God´s Own Country).
Derzeit haben wir so was leider nicht, Ideale sind aus, Gebote hat´s, tolerant und pc, nur mehr zwei: Kaufe. Und produziere (dich). Zukunft lässt sich daraus nicht gestalten, und so ist der Dumme vielleicht doch der Ehrlichere: So, wie die Dinge liegen, trinkt man doch am besten noch alles aus, was auf dem Tresen herumsteht.
Ich bleibe diesbezüglich auch nur deshalb ein Idiot, weil aus der oben zusammengefassten „vernünftigen“ Haltung allerhand Unschönes für meine Kinder resultiert. Wegen diverser sehr altmodischer Vorstellungen bleibt mir also gar nichts anderes übrig, als den Stein weiter da hochzurollen, im Wissen, dass er direkt wieder ins Tal rollt. Aber Camus hatte schon recht: Wir dürfen … nee, müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen denken.