Zugegeben, ich hab´s aus persönlichen Gründen aufgeschlagen, das schmale Debüt der jungen Autorin Florentine Degen, klingen mir doch die Titelworte noch aus dem eigenen Leben in den Ohren: als glasklare Einschätzung einer Verflossenen, die meiner Gattin auf diese Weise mitteilte, was Sie an ihrer Stelle täte (exklusive Nachsendeantrag), erkrankte der Lebenspartner schwer und endgültig. Denn bei Krankheit, gar drohendem Exitus in Nachbarschaft und Freundeskreis gilt frei nach Pony Hütchen nur eine Parole: „Nichts wie weg!“
Was Degen meint, ist allerdings noch ein bisschen grundsätzlicher. „Ich könnte das nicht“ ist als kategorischer Kommentar der meisten zu ihrem Entschluss zitiert, ein freiwilliges soziales Jahr im Hospiz zu absolvieren. Was ja nun in der Tat speziell ist. Denn wieso begibt sich ein junger Mensch freiwillig in unmittelbare Todesnähe, außer vielleicht beim Bungeespringen? Degen ist, so viel lässt sich umgehend konstatieren, nicht normal. Gottlob. Sie betrachtet den Tod und Sterben offenkundig als Teil des Lebens, aber qua dieser absolut natürlichen Haltung wirkt sie selbstredend in einem absolut unnatürlichen Umfeld wie unserem … seltsam, sonderbar und exotisch. Und vermutlich beängstigend, für so manchen.
Denn ihre Schilderungen des Lebens an der Schwelle zum Tod sind im besten Sinn schnörkellos. Das Unvermeidliche ist für die meisten „Gäste“ des Hospiz kein letzter Sonntagsspaziergang, vor dem fest angestellten Personal zieht man innerlich sämtliche Mützen und möchte doch zugleich genau diesem Personal nicht ausgeliefert sein auf den letzten Metern – ums Verrecken nicht. Darin aber besteht der eigentliche Nutzen dieses ein Jahr umfassenden Berichts, lässt er jeden mitten im Leben stehenden Leser doch zurecht beunruhigt eine „To-Do“-Liste erstellen, betreffend das restliche Leben und die eigenen letzten paar Meter: Die Dinge, die man dringend noch erledigen will, kommen wieder ganz oben auf die „Bucket List“, dazu der Termin mit dem Anwalt wegen „Patientenverfügung“ und „Testament“. Sowie, fragend: „Wo gibt´s eigentlich die billigsten Strychnin-Pillen? Und darf man die überhaupt im Handschuhfach mitführen, zum Eigenbedarf?“
Und so bleibt nach der emotional anspruchsvollen Lektüre eine Unterstreichung der Doppelerkenntnis: erstens bereiten wir uns doch besser vor auf das letzte Stück, sowohl organisatorisch als auch psychisch, zweitens: Wer kein Konzept vom Tod hat, hat auch kein Konzept vom Leben. Aber was das betrifft, steht ja nach Lektüre Degen-Bandes auch noch ein Regal dickerer Bücher bereit (aus dem ich bei Bedarf auch weiterhin für den Anfang vom Endgedankenmachen empfehle: Das tibetische Buch vom Leben und Sterben.)
Florentine Degen: „Ich könnte das nicht“ (KiWi 2011, 256 S., 8.99 €) Sogyal Rinpoche: Das tibetische Buch vom Leben und Sterben (Knaur, 512 S., 14.99 €)
Frau Degen ist eine großartige Schriftstellerin! Respekt gebührt jedoch nicht nur ihrer schriftstellerischen Leistung, sondern vielmehr ihrer emotionalen Einstellung zu den Menschen, und ihrem Mut, die Dinge so zu benennen wie sie nun einmal sind. PUNKT!
Frau Degen kann es sich in ihrer Rolle als Praktikantin durchaus leisten deutlich zu werden!!! Deshalb scheint sie exotisch anders . Und das ist gut so.