Tschick zu empfehlen, das war leicht: „Toll! Salinger, modern. Nur viel lustiger.“ Sand zu empfehlen, ist nur halb so leicht. Bis zum „Toll!“ geht´s genauso, aber danach, beim hilfreichen Etikettieren, wird´s haarig. Vielleicht geht´s ja so: „Als wären Malcolm Lowry und Kafka nach ner Gehirn-OP im gleichen Zimmer aufgewacht und hätten sich unter Prozac Geschichten erzählt, die dann Pfleger Vasquez-Figueroa aufgeschnappt und seinem Friseur Stephen Fry zur Nacherzählung überlassen hat.“
Phantastisch. Grandios. Toll.
Der Innenklappentext (nicht lesen!) ist ganz folgerichtig ein Dokument der Verzweiflung, denn nicht nur schafft der bedauernswerte Rowohlt-Werbetexter auf sieben Zeilen einen sagenhaften Spoiler, sondern auch die desperate Schlussfolgerung: „Nordafrika 1972.“
Was für die Geschichte ungefähr so egal ist wie „mit Buchstaben drin“. Einfacher, wenn schon: Ein Mann mit angeschlagenem Schädel versucht herauszufinden, wer er ist. Was durch diverse äußere Hindernisse erschwert wird, vor allem aber durch sein eigenes Gehirn. Daraus entsteht eine kurzweilige und irrsinnige (sic) Geschichte um die doch viel grundsätzlichere Frage: Wer bin ich, wenn ich mich auf mein Gehirn nicht mehr verlassen kann?
Darüber hätte Herrndorf natürlich auch ein erfahrenes Sachbuch schreiben können oder ein trauriges autobiographisches, aber da er tatsächlich genial ist, kriegen wir ein sagenhaftes Stück unterhaltende Kunst.
So gesehen. „Toll! Grandios. Lesen.“ Muss reichen.
(Im übrigen wünsche ich mir zu Weihnachten (im Wissen, dass ich ein gnadenloser Egoist bin), dass Wolfgang Herrndorf auf wundersame und schulmedizinisch unerklärliche Weise über Nacht spontangesund wird. Danach müsste ich dann zwar auf einen verzichten, der mir aus der fast schon körperverlassenen Seele spricht* – aber das täte ich gern. Bekäme ich doch so noch einen ganzen Haufen weitere grandiose Romane.)
* Beispielhaft so, zitiert aus WHs Blog (17. 11), den zu lesen ich nicht sein lassen kann vor, nach und beim Kerzenanzünden: „Ich habe es bisher immer vermeiden können, meinem Gegenüber mitten im Gespräch den Rücken zuzuwenden und schreiend wegzulaufen oder ihm ins Gesicht zu schlagen. Aber dass das auch in Zukunft so bleibt, kann ich nicht garantieren. Ich sterbe, und du erzählst mir ungefragt deinen ganzen langweiligen Lebenslauf, Mädchen auf irgendeiner Party.
Ein Bekannter, der vom Befund weiß, kommt durch die Tür und erklärt, was für riesige Fortschritte die Medizin in den letzten Jahren gemacht habe, was die jetzt schon alles könnten, Brustkrebs, meine Schwester, wirklich erstaunlich, ja, und gute Besserung dann. Ja, dir auch.
Und keiner stellt eine Frage. Keiner von diesen Herumschwallern stellt eine einzige Frage.“
Wolfgang Herrndorf – Sand (Rowohlt Berlin 2011, 480 S., 19.95 €)Wolfgang Herrndorf – Tschick (Rowohlt Berlin 2010, 256 S., 16.95 €)