Klappentexten müsste man doch wohl eigentlich so: „Bella, mit 21 noch keusche Jungfrau, lernt den total reichen, total charmanten und total wahnsinnig gut aussehenden Edward (26) kennen, der allerdings ein finsteres Geheimnis hat. Und so landet Bella in Edwards 400-Zimmer-Schloß, wo er sie mit klaren Ansagen in die Kunst des Vögelns einführt. Bella erfährt fulminante Orgasmen im Dutzend billiger, kann schon nach den Rühreiern am nächsten Morgen perfekte Blowjobs (all inclusive) und gerät komplett in den Unterwerfungsbann des schönen Mannes, der ein Abo auf Ketten, Peitschen und Knebel hat … Lore trifft den Marquis de Sade – das hat uns gerade noch gefehlt!“
Früher hieß so was Satire. Und hätte vermutlich für 5 Seiten in Pardon gereicht oder, leicht unscharf, in MAD. Heute heißt es Fifty Shades of Grey und ist ein US-Mega-Bestseller von Nachwuchsautorin E. L. James, den Goldmann jetzt auch an die Köpfe und anderen Körperteile der Twilight-Fans wirft. Der deutsche Verlag teilt dazu kenntnisreich mit:
„Shades of Grey“ ist zweifellos ein Phänomen, das mit dem Begriff Pornografie für Frauen nur unzureichend erklärt wäre. Angesiedelt zwischen „Pretty Woman“ und „Twilight“ auf der einen Seite und Cathérine Millet oder „Basic Instinct“ auf der anderen Seite erfüllt „Shades of Grey“ romantische Sehnsüchte, negiert aber nicht die sexuellen Fantasien moderner Frauen, für die in einem klar abgesteckten Rahmen weibliche Unterwerfung und sexuelle Rollenspiele keine Absage an die Errungenschaften der Emanzipation darstellen.
Uups. Da hatte ich´s wohl doch nicht weit genug überflogen, das Werk. Ich hatte nämlich doch eher den Eindruck, dass es sich um Dirty-Old-Men-Popp-Literatur handelt, weniger um einen Frauenporno. Weil: Jungfrauenunterwerfung? Praktikum Blowjob? Zu Diensten mit angeschlossenem Heimwerkerzimmer?
Na. Gut. So wird´s wohl sein. Um das richtig kapieren zu können, müsste ich vermutlich auch das siebenbändigen Keuschheitsvorspiel Twilight gelesen haben, aber wenn jetzt tatsächlich auch noch Hollywood eine „heiße Bieterschlacht“ (Goldmann) um die Rechte veranstaltet, erwarte ich in der Lehrprogramm-gemäß-§-14-JuSchG-Verfilmung auch die werkgetreue Kunstwiedergabe inklusive aller denkwürdigen Edward-Fragen im Stile von „Don´t you have a gag reflex?“
Und dazu, bitte, Merchandising-Magnum mit Nux-vomica-Streuseln.
„Weibliche Unterwerfung … keine Absage an die Errungenschaften der Emanzipation?“ Super. Endlich. Ernsthaft? Da machen Bill Clinton und ich einen schönen Haken dahinter und stellen schon mal die Handschellen im Partykeller warm, denn genau so soll das natürlich alles sein. Aber wo bleibt bei all der flächendeckend wohlwollenden PR dieser Von-Null-Auf-Eins-Nummer eigentlich der Sturm im Wasserglas? Wo ist Alice Schwarzer, wenn frau sie braucht? Im Knast, putzen?
P.S.: Die Parodie auf die Parodie Shades of Grey folgt hoffentlich zügig. Solange behelfen wir Blockbustergeschädigten uns mit A Game of Groans von George R. R. Washington (demnächst auch deutsch bei Heyne), denn der Autor versteht es meisterlich, auf 212 Seiten nicht voranzukommen. In seinem Fall ist das aber Absicht und durchaus komisch, während George R. R. Martins überhaupt nicht komische Vorlage, der sagenhafte, bislang fünf- bis zehnbändige Türstopper Fantasyroman A Game Of Thrones auf knapp 10.000 Seiten nicht vorankommt. Immerhin: die HBO-Verfilmung ist etwas unterhaltender, denn Bilder machen ja sogar Stillstand erträglich.