Ich mag Optimisten. Erst recht engagierte. Wie meinen Freund und Mitstreiter A., der mich unlängst ermahnte, ich solle jetzt mal wieder aufhören mit dem Fernsehunterhaltungskram und zur Sache kommen bzw. zurück an Bord – für das gemeinsam längst verabschiedete und verblüffend unkühne Projekt „Die ganze Wahrheit über alles“. (Es dauert ja gar nicht lang, die Wahrheit hinzuschreiben. Es dauert nur so lang, das ganze Mythen- und Lügenunkraut wegzuholzen …)
Problematisch erscheint mir allerdings, dass unsere klugen Mitmenschen mit Moral eh so gut wie alles wissen, was in dem Buch stehen wird. Sie werden dazu nicken und es sich gegebenenfalls gegenseitig vorlesen. So hätten wir bundesweit wohl 5.000 erfreute Leser und am Ende pro Autorenkopf 2.500 Euro auf dem Konto, für ein halbes Jahr Arbeit. Ließe sich dieser Ruin von zwei Optmisten notfalls noch verkraften, gar ohne jeden Verlust für Menschheit oder Erdrotation mit dem Tode bezahlen, bliebe aber leider der Pferdefuß stehen, dass ja nichts gewonnen wäre. Denn die klugen Weisen nicken ja auch schon ohne dieses weitere Buch. Und so bleibt als noch offene Frage stehen, ob Don Quixote für uns zwei als Role Model taugt. Zumal wir ja an unsere insgesamt 6 sehr geliebten Kinder denken müssen …
Zwischenzeitlich mögen mitlesenden Optimisten daher die nachfolgend empfohlenen Bücher als Wegzehrung dienen (sofern sie die nicht eh schon auf dem Speiseplan hatten) – geschrieben von Menschen, vor denen ich meinen Hut ziehe, wegen ihrer Klugheit und wegen ihres Einsatzes für die Wahrheit und eine zukünftig bessere Welt:
Bad Pharma von Ben Goldacre: Nachdem Goldacre sich für sein letztes Buch „Bad Science“ von Globuli-Fans als Agent der Pharmaindustrie beschimpfen lassen musste, zerlegt er eben jene nun in seinem neuen Buch in ihre Bestandteile – und das mit den gleichen sachlichen Methoden wie vorher die „Alternativen“. Bad Pharma ist brillant recherchiert und brillant geschrieben, erweitert den Horizont und macht wirklich schlechte Laune. Lesen muss es trotzdem jeder, der sich vorstellen kann, im Lauf der nächsten 20 Jahre an einen Arzt zu geraten (der leider selbst gar nicht weiß, was er tut). Die deutsche Ausgabe erscheint gelegentlich bei Kiepenheuer & Witsch, wer des Englischen mächtig ist, kann aber schon vorher klüger werden.
Food Rules von Michael Pollan: Eine nützliche Quintessenzensammlung aus Pollans überaus lehrreichen, aber auch sehr dicken „Omnivoren-Dilemma“ – wer nicht ausreichend Zeit für Letzteres hatte, gewinnt mit dem Westentaschenbuch doppelt.
Welt mit Zukunft von Franz Josef Radermacher und Bert Beyers: ein disziplinübergreifend fachkundiger und trotzdem optimistischer Blick auf unsere derzeitige Welt und unsere Zukunft. Gelegentlich naiv, aber das im guten Sinn, denn legte man überall strengste Maßstäbe an, könnt´ man sich ja nur noch eine Schußwaffe zulegen, einen Keller voll Vorräte und ein Gebetbuch nach Wahl.
Ebenfalls konstruktiv (und als gutes erstes Angebot zu verstehen): Gemeinwohlökomie von Christian Felber. Wie Radermacher und Beyers konstatiert Felber, dass in Umfragen 88% von uns mit der derzeitigen Wirtschaftsordnung unglücklich sind, wie R&B macht er Vorschläge – und damit wenigstens einen Anfang, im Gegensatz zu „Occupy“.
Detail- und diagnoseergänzend empfehlen sich Nicolas Shaxsons Treasure Islands, wo man unter anderem staunend erfährt, weshalb 1/3 des weltweiten BIP unversteuert bleiben (und deshalb alle 7 Sekunden ein Kind sterben muss), Fred Pearce’ Landgrabbing (das allerdings nicht sonderlich konzentriert daherkommt), Bill McKibbens Eaarth (für Einsteiger), Heiner Flassbecks prägnante 10 Mythen der Krise, Ha-Joon Changs 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen sowie Schluß mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt, Herausgegeben von taz-Chefredakteurin Ines Pohl (trotz der vielen seiten selbsredend etwas einseitig, aber trotzdem hilfreich, bei Westend).
Ergänzend rate ich nochmals zu Greg Palasts als Teaser für die nächste Woche anstehende Weltpräsidentenwahl zu lesendes Billionaires and Ballot Bandits sowie das nun endlich auch auf Deutsch vorliegende „Frühstück für Aasgeier“. Auch wenn ich weiterhin nicht Palasts Ansicht bin, dass Barack O. schon diese Wahl verlieren soll oder wird. Denn um alles auch nur annähernd Progressive auf US-Boden bis 2080 zu diskreditieren, muss man doch den schwarzen Krankenkasseneinrichter, Schwulenfreund und Vergewaltigungsgegner wenigstens noch bis zum weltweiten Bubble-GAU im Sattel sitzen lassen. Und niemandem wäre gedient, wenn in diesem Knallmoment ein New-Order-Republikaner oben säße und die ganze Schuld zu tragen hätte. Jeb Bush darf dann nach dem Knall aufs Pferd. Romney vorher per Wahlmanipulation draufzuschummeln, wäre doch taktisch verdammt unschlau. Und, hey, man kann die Powers To Be ja für alles mögliche halten, aber für unschlau?
Ben Goldacre: Bad Pharma – How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients (HarperCollins 9/2012, 448 S., 14,95 €)
Franz Josef Radermacher / Bert Beyers: Welt mit Zukunft – Die ökosoziale Perspektive (Murmann 2/2011, 400 S., 19.90 €)
Michael Pollan: Food Rules (dt: 64 Grundregeln Essen, Goldmann 4/2011, 160 S. 7.99 €)
Michael Pollan: Das Omnivoren-Dilemma – Wie sich die Industrie der Lebensmittel bemächtigte und warum Essen so kompliziert wurde, Goldmann 2011, 608 S., 14.99 €)
Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie – Eine demokratische Alternative wächst (Deuticke 2/2012, 208 S., 17.90 €)
Bill McKibben: Eaarth – Making a Life on a Tough New Planet (St. Martins Press 3/2011, 268 S., 17.98 €)
Fred Pearce: Landgrabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden (Kunstmann 9/2012, 400 S., 22.95 €)
Ha-Joon Chang: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (Goldmann 4/2012, 380 S., 9.99 €)
Heiner Flassbeck, 10 Mythen der Krise (edition suhrkamp digital 1/2012, 64 S., 4.99 €)
Ines Pohl (Hg.): Schluss mit Lobbyismus! – 50 Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt (Westend 9/2012, 224 S., 14,99 €)
Greg Palast: Frühstück für Aasgeier – Wie Ölbosse und Finanzhaie die Weltherrschaft erlangten (Riemann 10/2012, 544 S., 21.99 €)
Greg Palast: Billionaires & Ballot Bandits – How to Steal an Election in 9 Easy Steps (Seven Stories Press 9/2012, 304 S., 11,20 €)
Bitte um Erlaubnis widersprechen zu dürfen: Ihr (beider) Role Modell wäre nicht Don Quixote – sondern eher Sancho Pansa. Und der las ja bekanntlich gerne. Rittergeschichten. Die er für wahr hielt. Und das wiederum entspricht recht perfekt dem Fernsehunterhaltungskrams von heute.
Was heißt: Machen Sie weiter wie bisher: Verpacken Sie Weisheit in unterschätzten Werken. Reisen Sie wie Sancho Pansa verhältnismäßig hilflos mit. Und belassen den Don in seinem Irrglauben.
Wir wollen unterhalten werden, wir wollen in unseren Träumen ernstgenommen werden – Belehrung hingegen schmeckt bitter – was wenige freiwillig auf sich nehmen, auch wenn es nach Spoerl so sein muss, weil es sonst nächt nötzt…
Oder wie es der mir noch näher stehende Curt Goetz im Praetorius formulierte:
„Gelehrt sind wir genug –
Was uns fehlt, ist Freude, was wir brauchen, ist Hoffnung
Was uns nottut, ist Zuversicht, und wonach wir verschmachten, ist Frohsinn“
Geben Sie’s zu, der Satz könnte doch auch aus Ihrem Wappen stammen. Und das schreibe ich als ein Leser, der sich so in seinem Lesen verstrickte, daß er die Nächte damit zubrachte, weiter und weiter, und die Tage, sich tiefer und tiefer hineinzulesen – ohne jedoch dabei den Verstand zu verlieren.
Ihr sinnreicher Junker Alonso
P.S.: Ich hab mir da vor Jahren mal ein ausdruckbares Tischkärtchen zu gebastelt…