„Es nützt einem gar nichts, dass man versteht, dass es nicht so ist, wie die meisten glauben, weil die Tatsache, dass es die meisten glauben, eine unglaubliche Kraft entfaltet.“ (Franz-Josef Radermacher, Vortrag: Umwelt schafft Wissen)
Eben. Oder auch: Wahr ist, was wahr genommen wird. Ergänzend darf hier aber George Lakoff zu Wort kommen, respektive dürfen´s die von ihm zitierten Spin Dotors mit ihrer Erklärung für den Irak-Einmarsch (sowie alles andere): „Ihr wollt immer die Wahrheit wissen über eine Realität. Während ihr nach der Wahrheit sucht, kreieren wir eine neue Realität. Wenn ihr dann in der neuen Realität wieder eine Wahrheit sucht, kreieren wir wieder eine neue Realität. Wir wollen gar nicht die Realität verstehen, wir wollen unsere Realität erzeugen.“
Weshalb die gute alte Heuschrecke George S. zurecht konstatiert, der Fortbestand unserer offenen Gesellschaft entscheide sich an genau dieser Frage: Ob wir weiter nach Wahrheit streben – oder eben nicht. Wozu wiederum der längst unterirdisch rotierende Gründervater Thomas Jefferson klare Vorstellungen und passende Worte hatte, nämlich diese: „I was bold in the pursuit of knowledge, never fearing to follow truth and reason to whatever reason and whatever results they led, and bearding every authority which stood in their way.“
Lange her.
Wo nun allerdings eifrige Spin Doctors allein zuständig sind für Wahrnehmung, Realitätserzeugung und politisches Entscheiden, brauchte es erst umso dringender Die vierte Macht als Gegengewicht, sprich Presse und Journalismus. Das weiß auch und gerade Dirk C. Fleck, grundsätzlich alarmierter Journalist und Öko-Romanautor, und hat daher ausgewählte Vertreter der berichtenden Zunft in seinem gleichnamigen Buch zu Wort kommen lassen – von Diekmann bis di Lorenzo, von Schirrmacher bis Unfried. Ausführlich. Freundlich. Und erschütternd, unterm Strich. Denn bis auf wenige Ausnahmen verschanzen die Kollegen sich souverän in der Höhe – hinter Sachzwängen und Pseudo-Ethos: Journalisten müssen den Markt bedienen. Und keine Meinung machen. Geschweige denn die Gesellschaft verbessern wollen.
Wir müssen uns wirklich keine Sorgen mehr machen.
Sondern lesen mit Freude die komplett investigative Entwarnung des Spectator: Why 2012 was the best year ever! (sowie wenigstens einen Teil der über 1000 Kommentare unten drunter), und hoffen auf immer eine Handbreit Schampus unterm Kiel, erst recht im Wassermannzeitalter.
Dirk C. Fleck: Die Vierte Macht – Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten (Hoffmann & Campe 2012, 320 S., 22.99 €); Das Tahiti-Projekt (Piper 2010, 352 S., 8.95 €)