Das gut angezogene Fachblatt GQ hielt unlängst lebens- und fernsehphilosophisch fest, es gebe überall tolle echte Frauen. Also: echte. Mit reichlich guten Seiten, aber auch mit reichlich Meisen. Im Leben gäb´s die, klar, sowieso, aber auch in allen amerikanischen Serien (von Game of Thrones bis Girls, von Mad Men bis Breaking Bad etc. pp.). Nur in deutschen Serien gebe es echte Frauen eben weiterhin nicht. Nur reinen Klischee-Schrott, vulgo Lügen, entweder ganz-ganz-prima Frauen oder ganz, ganz böse. Korrekt konstatiert. Aber woran liegt´s?
Ebenso einfach wie falsch wäre es, diesen Mangel unseren Autoren und „Showrunner“n anzulasten, denn die bemühen sich ja hinter den Kulissen nach Kräften, den Frauen gerecht zu werden. Dabei geraten sie allerdings unvermeidlich an ein unüberwindliches Hindernis, nämlich Frauen. Denn die entscheiden, was im Fernseh läuft – nicht nur zu Hause, auf dem Sofa, sondern auch in Redaktionen und Produktionen. Dort eine im besten Sinn vielschichtige Protagonistin vorzuschlagen, also eine mit Stärken und Schwächen, ist keine vielversprechende Idee. Stärken: ja. Immer gern. Dem naiven Erzähler wird dann kurz erklärt, wie sich die Dinge in der Wirklichkeit verhalten, derzeit gern mit Hinweis auf Hanna Rosins Meisterwerk „Das Ende der Männer“. Woraus sich glasklar als beweisen ergibt: Frauen haben keine Schwächen. Null. Eine Frauenfigur mit Schwächen wäre also Fantasy. Und Fantasy will ja nun wirklich keiner sehen. Beziehungsweise keine.
Hierzulande erdacht, wäre Antonia Soprano nicht bei der Mafia gewesen. Und nicht in Therapie. Bloß eine tolle Mutter. Gregorina House wäre nicht böse gewesen. Hätte kein Vicodin genommen. Nur ihre genialen Diagnosen, die hätte sie behalten dürfen. Und Frau McNulty hätte jeden Fall in 45 Minuten gelöst.
Was bliebe? Eine intelligente Serie mit großem Erzählbogen – das müsste doch gehen, irgendwie. Wenn auch nicht mit einer starken Frau. Ein Mann wäre ja erfindbar. Männer dürfen Macken haben. Dass eine solche „moderne“ Serie gewünscht ist, behauptet das öffentliche Fernseh zwar sogar in Der Spiegel, vertreten durch verdiente Abteilungsleiter, tut aber unterhalb von angestrengter PR alles, um eben jene Serien zu verhindern. Wie? Na ja. Vorsichtig formuliert: Jemand müsst´s ja machen. Am besten jemand, der´s kann, also ein(e) fähige(r) Autor(in) und Showrunner(in). Solche gibt´s auch vereinzelt in Deutschland, aber wahrgenommen werden sie derzeit – wenn überhaupt – nur bei Sat.1. Gelegentlich. Weil man dort weiß, dass man ohne Gehirn nicht weit kommt, in diesem Fall ohne Seriengehirn, man also den Typ oder die Typin dringend braucht, der/die erzählen kann, im kleinen Episodenrahmen wie im großen Staffelrahmen. Man muss nun nicht gleich wie HBO, Showtime oder AMC (Parole: „Story matters here“) begreifen, dass der Erfolg einer Serie vorrangig an dieser Position hängt, aber hierzulande fehlt schon die Erkenntnis, dass es so was wie einen „Creator“ überhaupt gibt.
Mein jüngstes Serienkonzept war mit 40 kleingedruckten Seiten recht umfangreich, sehr präzise und durchdacht, im Großen wie im Detail, und selbstredend zierte die Titelseite der bescheidene Urheberhinweis „created by“. Im Wissen, dass so was bei öffentlich-rechtlichen Sendern nicht verstanden wird, entschloss sich die präsentierende Produktion allerdings ohne Rücksprache mit dem Urheber zu einer marginalen Korrektur und versah das Ganze mit einer rechtlich weniger gefährlichen Formulierung: „Aufgeschrieben von“. Proteste gegen solches Tipp-Exen sind fruchtlos, wahlweise gefährlich, denn freie Protokollführer genießen weder Kündigungsschutz noch Urheberschutzrechte.
Findet man sich als leidenschaftlicher Macher und Geschichtenerzähler zähneknirschend mit dieser Korrektur ab, geht´s aber erst richtig los. Denn da der öffentlich-rechtliche Veranstalter gar nicht weiß, dass eine intelligent gemachte Serie ein Gehirn braucht, das den Überblick behält, fehlt die Position des „Creators“, „Showrunners“ oder „Creative Producers“ auch im Vorspann – sowie in der Kalkulation. Sprich: weder kann der Erzähler und kreative Producer für die zu leistende Arbeit mit einem „Credit“ rechnen – noch mit Bezahlung. (Dank der neuen Verträge des hier ungenannt bleibenden Senders, mit dem man angeblich besser sieht, sieht man allerdings nicht einmal mehr Autoren-Wiederholungshonorare im Erfolgsfall.)
Aber es gibt ja Menschen, die all das zu ignorieren bereit sind und einfach trotzdem gute Geschichten erzählen wollen. Notfalls eben ohne Anerkennung im Vorspann oder auf dem Konto. Hier nun rennt der leichtbuddhistische Geschichtenerzähler allerdings endgültig gegen Wände, denn da er ja keinen Titel und Position in Team sowie Etat hat, sondern nur Aufschreiber ist, hat er natürlich auch keine Entscheidungsbefugnis. Sondern höchstens Angebotsbefugnisse – und ansonsten aufzuschreiben, was Producerinnen, Redakteurinnen und Praktikantinnen ihm – vorschreiben. Respektive diktieren. Jeden kontraproduktiven Blödsinn. Verweigert er dies (und sei es mit dem lückenlosen Nachweis, der reine Blödsinn vernichte die Struktur der Erzählung und damit auch alle Chancen auf einen Produktionsauftrag), wird der Creator (bzw. Aufschreiber) na – eben: entlassen.
Wie dabei etwas anderes herauskommen soll als „Der Landarzt?“ oder die nächste Mordserie aus dem Schwarzwald?
Gar nicht.
Aber es gibt noch Hoffnung, für die Enkel: Sobald hierzulande echtes weibliches Selbstbewusstsein nachwächst, holen wir die verpassten letzten 20 Jahre nach, und zirka 2040 gibt´s dann eine wirklich gute deutsche Serie. Mit einer echten, tollen Protagonistin. Mit ner Meise. Solange freuen wir uns einfach vor, denn zu sehen gibt´s ja auch ohne unsere öffentlich-rechtliche Beteiligung ausreichend Grandioses, allzeit frisch aus dem Ausland. Mit „Borgen“, „Broadwalk Empire“, „Mad Men“, „Californication“ und „Parenthood“ kommen wir garantiert noch eine ganze Weile aus.