Als ich vor 20 Jahren von den Zuständen im Jahr 2030+ in New Hesperida berichtete (also in den beiden Sherman-Bänden), kamen ja nicht nur Totalüberwachung, Netzcrash, virtuelle Stars sowie das Bombardement des arabischen Frühlings am Rande vor, sondern auch mittendrin (im ersten Band) eine Explosionsserie, die viele mittelmäßige Bestsellerautoren am Schreibtisch final traf. Dahinter steckte (Spoileralarm) eine Software, leicht aufgemotzt von einem vollkommen kranken Autor, der den ganzen Schriftschrott in Verbindung mit seinem eigenen Mißerfolg nicht mehr ertragen konnte, und das war nicht autobiographisch gefärbt. Nun wird die Wirklichkeit meine Fiktion zwar nie ganz einholen, immerhin aber wird 2030 der trockene Hintergrund Tatsache sein, denn mit zunehmender Verbreitung der e-Lesegeräte liest ja nicht nur die NSA mit (der Job ist ne echte Strafe …) sondern auch die Marktforschung. Was für Autoren viel gefährlicher ist. Jedenfalls für so … richtige Autoren, also Belletristen, Schöngeister, Künstler.
Bislang müssen wir uns ja nur bei der Arbeit fürs Fernseh dem Diktat von Markt und Schwarm beugen, sprich: alles sein lassen, was der gesammelte Kunde nicht unbedingt sofort mag. Die Einschaltquoten weisen uns gnadenlos den Weg, die Minutenschritte zeigen uns, welche Untergruppen der Zielgruppe in welcher Minute wegschalten, daraus ziehen wir unsere Schlüsse. Und lernen aus unseren Fehlern. Andernfalls fliegen wir raus. Zukünftig begegnet uns das aber auch in der Arbeit mit unseren Verlagen und Lektoren, denn die werden dank Kindle und Co. nicht nur wissen, welche Farben, welche Typo und welche grauen Schlipse der Schwarm gerade bei der Umschlaggestaltung bevorzugt, sondern auch, welche Stellen in welchen Romanen besonders oft angestrichen und/oder (demnächst) mit welchen Randbemerkungen versehen werden. Sowie: wie schnell der durchschnttliche Leser welche Passagen liest, an welchen Stellen er das Interesse verliert, tagelang pausiert und ggf. einen Roman weglegt. Der Rest ist profaner Algorithmenzauber, auszuführen von jedem ITler im zweiten Semester, und anschließend braucht mein Lektor das ihm vorgelegte Manuskript nicht mal mehr selbst zu lesen, sondern nur noch einmal von seiner MaFo-Software analysieren lassen, um die Absatzchancen zuverlässig und aufs Komma genau einschätzen zu können.
Aber keine Sorge. Es bleibt uns natürlich unbenommen, stur und gegen die unbestechliche Maschinenmeinung auf Originalität zu beharren, den zukünftigen Publikumsverlagen stolz den Rücken zu wenden, mit den Worten „ihr werdet schon sehen, was ich davon habe!“, und unser nicht evaluiertes Skript selbst zu veröffentlichen, als KDP. Sofern wir echten Schwarmschrott geschrieben haben, reicht´s vielleicht sogar für einen Lottogewinn, wahrhaft Originelles hingegen wird´s zukünftig noch etwas schwerer haben als einst, kurz vor Gutenbergs guter Idee.