Im Unterschied zu Mr. Smith geht Mr. Bezos dort aber nicht hin, um aufzuräumen, sondern um abzuräumen – und zwar nicht nur die Redaktion der Washington Post, sondern gleich das gesamte politische Establishment. Vergessen wir nicht, dass die Post nach der NYT das einflußreichste US-Blatt ist, und dass Bezos sich hier mit 1% seines Vermögens (= 250 Millionen Dollar) eine vergleichsweise spottbillige Waffe gekauft hat, um Meinung in seinem Sinn zu machen – und Andersmeinende zum Schweigen zu bringen.
Amazon zahlt keine Steuern. Amazon macht seit der Firmengründung keine Gewinne, und weder die US-Finanzämter noch die europäischen können dagegen etwas unternehmen. Offensichtlich. Bezos selbst besitzt inzwischen 28 Milliarden, seine No-Profit-Organisation kontrolliert einen Haufen Märkte, zerlegt gerade den verbliebenen US-Buchmarkt, kontrolliert allen Content, verdient sogar am kickstarter-Crowdfunding, sammelt Unmengen Daten und greift mit den „amazon studios“ jetzt auch die Filmindustrie an. Aber Amazon ist inzwischen so groß, so aggressiv und nicht zuletzt so gnadenlos mit seinem Personal, dass Bezos zukünftig noch mehr politischen Einfluß brauchen wird als bislang. Dass Obama ihm auf Wunsch applaudiert, wird nämlich langfristig nicht ausreichen, um alle Richter, Steuerfahnder und Gewerkschaftler zum Schweigen zu bringen.
Amazons 600-Millionen-Dollar-Daten-Deal mit der CIA war ein guter politischer Anfang. Mit der Washington Post und ein paar eingetauschten NSA-Daten im Gepäck sollte Bezos jetzt aber auch wirklich jeden US-Politiker unter geeigneten Druck setzen können, sich den amazonischen Plänen nicht in den Weg zu stellen. Sei es höflich, mittels Schweigeangeboten hinter den Kulissen, oder eben offen, mittels Verlautbarungen in seinem neuen Blatt, das noch immer von seiner legendären Watergate-Vergangenheit zehrt und seinen unbestechlichen Ruf trotz der halbgaren letzten 20 Jahre nicht losgeworden ist.
Bezos macht alles richtig, und das schon sehr lange. Mit dem Kauf der Post zieht er nun endgültig an Gestalten wie Murdock vorbei, denn anders als der (und Old-School-Konsorten) lebt Bezos nicht von Anzeigenkunden und Großindustrie, sondern verfolgt erfolgreich das Ziel, an jeder kulturellen Transaktion, weltweit, als Makler mitzuverdienen. Mittelfristig wird amazon weitaus mächtiger sein als alle Googles, Apples und Facebooks zusammen, und Bezos wird als smartester Geschäftsmann aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Das verdient vermutlich unsere lupenreine Bewunderung. Unser Unwohlsein (jüngst gut dokumentiert von Amy Goodman und ihren kritischen Gesprächspartnern) dürfte wohl nur mit romantischen Demokratiereflexen zusammenhängen: Die Vorstellung, unseren zukünftigen Anführer und gleichzeitigen Beherrscher aller Gedankenwelten nicht abwählen zu können, will uns beim besten Willen nicht behagen.